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1953 – Erster Versuch eines konterrevolutionären Putsches in der DDR, kein „Volks-Aufstand“!

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1953: Für die DDR war es der erste Putschversuch. Für den Westen sollte es ein „Volks-Aufstand“ werden

Mein Vater war am 17. Juni 1953 als Kreis-Redakteur der SED-Zeitung „Freiheit“ im Eisleben tätig und hielt sich in der Redaktion in der unteren Stadt, im Stadtzentrum auf. Meine Mutter war mit mir allein zu Hause im oberen Bereich der Stadt. Sie war schwanger über meiner Schwester. Dann kamen die Unruhen, immer lauter und zunehmender Trubel, die ersten Zerstörungen. Meine Mutter bekam Angst. Mein Vater ahnte oder wußte von solchen bevorstehenden Unruhen. Deshalb hatte er mit meiner Mutter vereinbart, daß wir in solcher Situation die Wohnung  verlassen sollten und zu meiner lieben Patentante Franke einige Straßen weiter gingen. Dort blieben wir bangend, ohne zu wissen, wie es weiter geht. (Handy gab es damals nicht!)

Ein Demonstrationszug von Bergarbeitern formierte sich nach Eisleben, dort versammelt sie sich in der Innenstadt. Sie kamen mit Transparenten und Schildern. Ein Arbeiter hielt eine Brandrede gegen die SED und seine Führer. Es war genau der Mann, der wenige Tage vorher am 1. Mai 1953 als „Held der Arbeit“ vom DDR-System geehrte und ausgezeichnet wurde. Ein merkwürdiger Umstand, der vermuten läßt, daß dies eben keine „spontane Demonstration gegen die Gewaltherrschaft der SED“ (so die Wochenschau des Westens) war, sondern eine sehr wohl organisierte. So versuchte die aufgehetzte Menschen-Meute in Eisleben auch in das Haus und die Räume der SED-Zeitung „Freiheit“ einzudringen, wo sich auch mein Vater befand. Beruhigende Worte halfen nichts. Die für die revoltierenden Arbeiter verantwortlichen sollten den Hass zu spüren bekommen, zurücktreten und abhauen. Die Genossen verteidigten ihre Räume wie eine Festung. Scheiben wurden mit Steinen und Stöcken zerschlagen und einiges beschädigt, aber die Redaktion konnten nicht gestürmt werden. Mein Vater uns seine Mitarbeiter blieben unverletzt.

Die aufgeheizte Situation eskaliert und wurde chaotischer bis schließlich Einheiten der Kasernierten Volkspolizei anrückten, die ohne Befehl zum Waffeneinsatz in heften Prügeleien die Demonstrierenden wohl „in Schach halten“ konnten und weitere Gebäudezerstörungen verhindert wurde, aber keine Auflösung der Demonstration erreicht wurde. Später sorgten dann auch in Eisleben Panzer der Sowjetarmee relativ schnell für Ruhe und Auflösung der Demonstrationenen (diese Kräfte rollten „verspätet“ an, weil sie merkwürdigerweise direkt aus einem Manöver-Einsatz geholt werden mußten).

  • Der Befehl Nr. 176 für die Stadt Eisleben und das Kreisgebiet Eisleben verhängte den Ausnahmezustand und die Androhung vom Waffengebrauch. Ausgestellt vom Kommandant des Kreises und der Stadt Eisleben. Eisleben, d. 17.6.1953.

Fragen zum „Volks-Aufstand“:  Wieviel Volk war im Aufstand?

Am 17. Juni 1953 fand kein „Volksaufstand“ statt, sondern der Versuch einer Konterrevolution, der vom Westen (Westdeutschland und USA) ausging und gesteuert wurde.

Die USA-Strategie des direkten Zurückrollens des Sozialismus (roll back) in Europa richtete sich vor allem gegen die DDR und wurde vor allem von West-Berlin aus organisiert. Dafür wurde der Versuch des Machtwechsels (Regime Changes) am 17. Juni 1953 gestartet.

Historische Ursachen:

(1)  Der in Westberlin stationierte Sender RIAS spielte bei der Organisierung des konterrevolutionären Putschversuches am 17. Juni 1953 in der DDR eine wichtige Rolle.

(2) Der Tod von Josef Stalin im März 1953 führte zu Verunsicherung in der Bevölkerung der DDR und nährte Hoffnung bei den reaktionären Feinden des Sozialismus (in der DDR).

(3) Die SED-Führung

Im Mai 1953 nahm die DDR-Regierung eine Erhöhung der Arbeitsnormen um 10,3 Prozent vor, während die Löhne gleich blieben.

Die Ursachen der Demonstrationen und Putsch-Aktionen in der DDR gehen auf die II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 zurück, auf der Walter Ulbricht den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ verkündet. Nach dem „Neuen Kurs“ der Regierung der DDR (11. Juni 1953) begannen die sozialen Spannungen mit der Bevölkerung.

Die Umsetzung dieser Parteibeschlüsse hatte negative Folgen für die Bevölkerung, die zu Unzufriedenheit führten:

  • Rückgang der industriellen Produktion
  • Schwere Ernährungskrise
  • Absinken des Lebensstandards
  • Flucht vieler Menschen in den Westen über die offene Grenze in Berlin.

Das führte 1953 zu einer ersten großen Krise der DDR, einer tief greifenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krise.

Organisierter Ablauf der Demonstrationen, Proteste und Forderungen

(1) Zuerst Streik in Berlin

Die Arbeiter der Ostberliner Großbaustellen streikten am 15. und 16. Juni 1953 und marschieren zum „Haus der Ministerien“, dem Regierungssitz der SED.

  • Die Anfangsforderung: Senkung der Arbeitsnorm

Weitere Forderung im Verlauf der Proteste:

  • freie Wahlen
  • Absetzung von Walter Ulbricht

(2) Dann Streiks und Demonstrationen im ganzen Land

Die Demonstrationen greifen auf die gesamte DDR über. Über 400 Orte (darunter Magdeburg, Halle, Bitterfeld und Jena) und 600 Betriebe waren beteiligt.

Schließlich hat die Protestwelle  mehr als eine halbe Million Menschen erfaßt.

(3) Schließlich richteten sich die Forderungen klar auf  die Beseitigung der DDR

Die Ziele der Demonstrierenden waren keineswegs einheitlich. Es kristallisierten sich einige wesentliche Forderungen heraus

wirtschaftliche Forderungen und Ziele:

  • Auszahlung der Löhne nach den alten Normen
  • Senkung der Lebenshaltungskosten
  • Senkung der HO-Preise um 40 %

politische Forderungen und Ziele:

Für den Sturz des Arbeiter-Bauern-Staates (Staats-Streich):

  • „Von Ulbricht, Pieck und Grotewohl haben wir die Schnauze voll“
  • „Ulbricht, Pieck und Grotewohl, wir fressen nur noch Sauerkohl“
  • „Nieder mit der Zone“
  • Rücktritt der Regierung: „Nieder mit der Regierung Grotewohl“
  • „Wir brauchen keine Volksarmee“
  • Einheit Deutschlands

Für politische Freiheiten: 

  • „Wir fordern den Generalstreik“
  • „Keine Maßregelung der Streikenden und ihrer Sprecher“
  • Freiheit für politische Gefangene

Für politische Wahlen:

  • freie und geheime Wahlen 
  • „Freie Wahlen“, „Wie fordern freie Wahlen“

Gegen die SED:

  • „Wir brauchen keine SED“,
  • „Nieder mit Walter Ulbricht“

Gegen die Sowjetunion:

  • „Abzug der Russen“
  • „Wir wollen nicht nur haben Brot, sondern wir schlagen alle Russen tot“
  • „Nieder mit der deutsch-sowjetischen Freundschaft“

Aktionen der Demonstranten

(1) Gründung con Streikkomitees

  • Menschen organisierten sich im ganzen Land zu großen Demonstrationen.

(2) Arbeitsniederlegung (Streik)

Berliner Bauarbeiter

(3) Öffentliche Demonstrationen

organisierte und spontane Demonstrationen mit Spruchbändern und Protestrufen.

(4) Stürmen von SED-Parteibüros

  • SED-Büros
  • Parteizeitung & Druckerein (z.B. „Freiheit“ in Eisleben)

(5) Entwaffnung von Polizisten

  • Die Deutsche Volkspolizei war in den meisten Städten mit den Aufständischen vollkommen überfordert.
  • Teilweise liefen die Polizisten sogar zur Gegenseite über.

(6) Befreiung von politischen Gefangene

  • Bei der versuchten Erstürmung des Zuchthauses im Magdeburger Stadtteil Sudenburg misslang dieses jedoch gründlich: 12 Arbeiter wurden von regierungstreuen Volkspolizisten erschossen, auch in Weißenfels und in Güstrow passierte Ähnliches.
  • Allerdings konnten in anderen Städten zwischen zwei und dreitausend Politische Häftlingen von den Menschenmassen befreit werden.

(7) Zerstörung von Symbolen des Sozialismus

  • Im Leunawerk demontierte die Menge ein 8 Meter großes Bild von Walter Ulbricht.
  • Im Liebknechtwerk in Magdeburg wurde ein riesiger Sowjetstern vom Schornstein gestürzt.

Reaktion der herrschenden Macht

  • Der sowjetische Stadtkommandant verhängt am 17.Juni 1953 über Ost-Berlin den Ausnahmezustand, der am nächsten Tag über die gesamte DDR ausgeweitet wird.
  • Insgesamt sind 167  Städte und Landkreise (von insgesamt 217) betroffen.
  • Gemeinsam mit dem sowjetischen Militär schlug die kasernierte Volkspolizei die Proteste nieder.
  • Nach diesem Aufstand wies die militärische Führung der DDR der KVP (Kasernierten Volkspolizei) auch die innere Sicherheit als Teilaufgabe zu. Jeder Einheit wurde nun ein festgelegter Territorialbereich zugeordnet, in dem sie im Falle von Unruhen eingesetzt werden sollten.

''Juni 53 - Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in Ost-Berlin und der sowjetischen Besatzungszone'', hg. v. Bundesministerium für Gesamdeutsche Fragen, Bonn/ Berlin 1961, S. 27. (Die Namen der Fotografen blieben damals aus Sicherheitsgründen anonym.) (Abbildung bearbeitet)

Wirkungen der Ereignisse

Ergebnisse für die Demonstrierenden:

  • Niederschlagung des Aufstandes und Niederlage der Aufständischen
  • Nichterfüllung der (politischen) Forderungen
  • Keine Änderung des DDR-System war möglich, solange die sowjetische (Besatzungs-)Macht die Existenz der DDR garantierte.

Die Folgen des 17.Juni 1953 in der DDR:

  • Zahlreiche Menschen werden während der Aktion verletzt und getötet, angeblich 300 Menschen.
  • Nach der Niederschlagung des Aufstandes ging die DDR-Regierung mit aller Härte gegen „Schuldige“ vor.
  • Viele Verhaftungen wurden vorgenommen. Davon kamen die meisten als „Mitläufer“ wieder frei, die „Rädelsführer“ bekamen einen Prozess, DDR-Gerichte verhängten gegen 1.400 Personen Freiheitsstrafen und diverse Todesurteile (angeblich 100 Todesurteile).
  • Ungefähr 20 Angehörige der Volkspolizei und 40 Soldaten der Roten Armee, die sich weigerten, auf die Bevölkerung zu schießen, wurden standrechtlich erschossen.

Schlußfolgerungen und Maßnahmen der DDR-Führung

Die sowjetische Führung in Moskau zwang das Politbüro der SED

  • zu einem Schuld-Eingeständnis für die Proteste und
  • zu einem „Neuen Kurs“. Einige Maßnahmen zum „Aufbau des Sozialismus“ werden zurückgenommen.

Von der Erhöhung der Arbeitsnormen rückt die SED-Führung jedoch viel zu spät ab. Insbesondere die Arbeiterschaft sieht sich bestraft. Am 15. und 16. Juni 1953 kommt es auf Ost-Berliner Großbaustellen zu Protestaktionen. Die Demonstrationen greifen auf die gesamte DDR über und werden am nächsten Tag fortgesetzt. In mehr als 700 Städten, Ortschaften und Betrieben gehen die Menschen auf die Straßen.

Die Regierung der DDR konnte die Proteste der Bevölkerung nicht ignorieren.

  • In der weiteren Wirtschaftsplanung wurde eine Steigerung der Konsumgüterproduktion vereinbart,
  • die Preise für Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfes wurden gesenkt und
  • die Normerhöhung wurde rückgängig gemacht.

Reaktion der Bundesrepublik Deutschland:

Die BRD griff angeblich „aufgrund der unerwarteten Geschehnisse und insbesondere zur Vermeidung einer Eskalation des Kalten Krieges“ nicht in die Ereignisse ein.

Aber bereits kurz nach den Ereignissen wurde das “Gesetz über den Tag der deutschen Einheit” verabschiedet. Im Bundesgesetzblatt, Teil I, Nr. 45, vom 7. August 1953, Seite 778 heißt es:

„Am 17. Juni 1953 hat sich das deutsche Volk in der sowjetischen Besatzungszone und in Ost-Berlin gegen die kommunistische Gewaltherrschaft erhoben und unter schweren Opfern seinen Willen zur Freiheit bekundet. Der 17. Juni ist dadurch zum Symbol der deutschen Einheit in Freiheit geworden. Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1 Der 17. Juni ist der Tag der deutschen Einheit.

§ 2 Der 17. Juni ist gesetzlicher Feiertag…”

Der Feiertag wurde bis zur „Wiedervereinigung“ am 3.10.1990 alljährlich begangen.

Gegensätzliche Bewertungen der Ereignisse am 17. Juni 1953 in der DDR

DDR-Bevölkerung 1953: Etwa 18 Millionen Menschen. Davon beteiligten sich  zirka 1 bis 1,5 Millionen am „Aufstand“, d.h. höchstens 8,5 % der Gesamtbevölkerung.

  • Proteste und Demonstration: Ja, das waren sie.
  • „Arbeiteraufstand“:  Nein, das waren keine klassenbewußte Arbeiter waren nicht dabei oder kehrten den Demonstrationen schnell den Rücken, als sie sahen, das auch ihr „Volkseigentum“ von Provokateuren zerstört wurde.
  • „Volksaufstand“:  Das ist die Auffassung der BRD-Führung, die deshalb einen BRD-Feiertag mit Gesetz zum 17. Juni beschloß: Das „deutsche Volk (hat ) in der sowjetischen Besatzungszone und in Ost-Berlin gegen die kommunistische Gewaltherrschaft erhoben“.  Neun Prozent einer Bevölkerung sind allerdings noch nicht „das Volk“! Und: Seit wann setzen sich Regierungen kapitalistischer Länder für die Interessen und Bedürfnisse von Arbeitern, der ganzen Arbeiterklasse oder sogar des ganzen (deutschen) Volkes ein? 1945 war die KPD die erste Partei, die von den vier Alliierten eine Parteien-Lizenz erhielt. 1949 erhielt die KPD bei Wahlen zum Deutschen Bundestag 5,7 Prozent (1.361.706 Wähler). Doch die Verfolgung und Diffamierung von Kommunisten erreichte einen Höhepunkt in Westdeutschland nach dem sogenannten Adenauer-Erlass (19.09. 1950), der die Verfassungstreue der öffentlich Bediensteten festschrieb und damit Mitgliedschaften in verfassungsfeindlichen Organisationen verbot. Der Kampf gegen die Kommunisten in der BRD, die Interessen der Arbeiterklasse vertraten, führte schließlich 1956 zum Verbot die KPD  (nach 1919, 1923 und 1933 in Deutschland ein viertes Mal seit Gründung der Partei). Das führte zu tausenden Entlassungen, Verfahren und Verurteilungen von Kommunisten. Die Bekämpfung derjenigen, die sich für die Interessen der Arbeiter und des Volkes einsetzen gehört zu den existentiellen Zielen kapitalistischer Länder. Deshalb ist die Sympathie der BRD-Regierenden für Protestierende und Aufständische in der DDR völlige Heuchelei und Demagogie.  Mit der klaren Kommunistenverfolgung nach dem Krieg bekämpften die BRD-„Elite“ beispielsweise auch Aktionen, bei denen sich die KPD stark engagierte,  gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung bzw. Remilitarisierung seit Anfang der 1950er Jahre. Bei einer nicht-erlaubten Volksbefragung stimmten immerhin neun Million Menschen mit NEIN zur Wiederbewaffnung der BRD (von 51 Millionen BRD-Bevölkerung 1050 = immerhin 17,65 %) Das war bezeichnenderweise für die BRD kein „Volksaufstand“ oder „Volksprotest“!
  • Versuch eines faschistischen Putsches:  Die SED ging anfangs von dieser Wertung der Ereignisse des 17. Juni 1953 aus. Das basierte auf den Erfahrungen des Ablaufs der Ereignisse und der Zusammensetzung der dabei führenden Kräfte (u.a. im Buna-Werk).
  • Versuchte „Konter-Revolution“ (Versuch des Regime-Wechsels) Einen Generalstreik hätte es laut Lenins Theorie eigentlich gar nicht geben dürfen. Dennoch wurde er für die DDR eine bittere Realität. Die SED-Vision vom „Sozialismus“ mit den gegebenen Regierungs-Maßnahmen wurde von vielen Arbeitern abgelehnt. Die Protest-Demonstrationen richteten sich (von West-Geheimdiensten vorbereitet und geführt?) in ihrem Verlaufe immer klarer gegen den Sozialismus, gegen die DDR und die Sowjetunion (Russen), gegen die Führer der SED (Ulbricht) und der DDR-Regierung (Grotewohl).  Die Ziele der Protestierenden waren klar auf den Umsturz des DDR-Systems und der DDr-Regierung gerichtet. Deshalb war es ein klarer Versuch einer Konter-Revolution. 

Fritz Schenk: Niederschlagung des Aufstandes in Ostberlin am 17. Juni 1953

Fritz Schenk, damals DDR-Wirtschaftsfunktionär

Die Propaganda der heute Herrschenden

Der 17. Juni 1953 in der Lutherstadt Eisleben: Eine Dokumentation (2013)

  • Verlag: Schäfer Druck & Verlag; Auflage: 1 (17. Juni 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3938642661

Kurzbeschreibung:

Schüler der Katharinenschule – Lutherstadt Eisleben führten das Projekt „Stätten des 17. Juni 1953 in der Lutherstadt Eisleben“ durch.
In den Mittelpunkt der Untersuchungen und Debatten mit den Schülern wurden die historischen Ereignisse, die sich um den 17. Juni 1953 in der Lutherstadt Eisleben sowie im Umland ereigneten, gerückt.
Ziel war es, die vorliegende Dokumentation als Ergänzung für den Schulunterricht unter regionalgeschicht-lichem Aspekt sowie für Stadtrundgänge unter dem Thema „Stätten des Volksaufstandes am 17. Juni 1953“ zu erarbeiten. Die Dokumentation beruht ausschließlich auf der angegebenen Literatur.

Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in Lutherstadt Eisleben und im Mansfelder Land

Titel: „Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in Lutherstadt Eisleben und im Mansfelder Land“
Herausgeber Dietmar Mokros
Mitwirkende Personen: Bund der Stalinistisch Verfolgten in Deutschland Landesverband Sachsen-Anhalt
Verlag Landesverband Sachsen-Anhalt des Bundes der Stalinistisch Verfolgten, 2004
Länge 184 Seiten

Protest und Aufstand

Die sowjetischen Machthaber in Moskau zwingen das Politbüro der SED zu einem Schuldeingeständnis und zu einem „Neuen Kurs“. Einige Maßnahmen zum „Aufbau des Sozialismus“ werden zurückgenommen.

Von der Erhöhung der Arbeitsnormen rückt die SED-Führung jedoch viel zu spät ab. Insbesondere die Arbeiterschaft sieht sich bestraft. Am 15. und 16. Juni 1953 kommt es auf Ost-Berliner Großbaustellen zu Protestaktionen. Die Demonstrationen greifen auf die gesamte DDR über und werden am nächsten Tag fortgesetzt. In mehr als 700 Städten, Ortschaften und Betrieben gehen die Menschen auf die Straßen.

Die Forderungen des Protestierenden:

  • die Rücknahme der Normenerhöhung,
  • freie Wahlen,
  • die Wiedervereinigung Deutschlands,
  • die Ablösung Ulbrichts,
  • Freiheit für alle politischen Gefangenen

Die Regierung der DDR konnte es sich jedoch nicht leisten, die Warnungen des Volksaufstandes zu ignorieren.

  • In der weiteren Wirtschaftsplanung wurde eine Steigerung der Konsumgüterproduktion vereinbart,
  • die Preise für Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfes wurden gesenkt und
  • die Normerhöhung wurde rückgängig gemacht.

Niederschlagung

In 167 von 217 Landkreisen verhängt die Sowjetunion den Ausnahmezustand. Sie verkündet das Kriegsrecht und übernimmt offiziell die Regierungsgewalt in weiten Teilen der DDR. Sowjetische Panzer vom Typ T-34 rollen durch die Straßen. Durch massiven militärischen Einsatz wird der Volksaufstand unter Beteiligung der Kasernierten Volkspolizei niedergeschlagen. Es sterben etwa 50 Menschen, darunter auch Angehörige der DDR-Sicherheitsorgane. Insgesamt werden etwa 15.000 Personen im Zusammenhang mit dem Aufstand festgenommen. Bis Ende Januar 1954 werden 1.526 Angeklagte verurteilt.

Reaktionen

  • Bereits am 18. Juni 1953 meldet das Zentralorgan der SED, das „Neue Deutschland“, der Aufstand sei Ergebnis einer „faschistischen Provokation“. Die SED-Führung weiß, dass das nicht stimmt.
  • Ohne das Eingreifen der Sowjetunion wäre das Regime unter Ulbricht zusammengebrochen. Bis zum Ende der DDR bleibt der 17. Juni 1953 das Trauma der DDR-Machthaber.

Quelle: Grau, Andreas/Rosenberger, Ruth/Volkwein, Johanna: 17. Juni 1953 – Volksaufstand, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/weg-nach-osten/17-juni-1953-volksaufstand.html

Zwischen dem Sturz des SED-Regimes 1989 und dem 17. Juni 1953 besteht ein enger Zusammenhang: Zunächst politische und soziale Einzelforderungen, dann

der Wunsch nach

  • Freiheit und
  • Demokratie,
  • schließlich nach Wiedervereinigung.

Der ausschlaggebende Unterschied: 1989 rollten keine russischen Panzer mehr.

Allen Freiheitserhebungen, die dem 17. Juni im Osten folgten – der Volksaufstand in Ungarn 1956, der Prager Frühling von 1968 – hat das militärische Eingreifen der Sowjets ein Ende gesetzt. Ohne das Eingreifen der sowjetischen Panzer hätten wir eventuell schon 1953 die deutsche Einheit bekommen, denn Walter Ulbrichts Regierung und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) waren am 17. Juni praktisch entmachtet worden. 

Die Tatsache, dass der Aufstand scheiterte, nimmt nichts von seiner historischen Bedeutung. Festzuhalten bleibt, dass die ostdeutschen Demonstrierenden vom Juni 1953 die ersten waren, die sich in Osteuropa gegen das kommunistische System erhoben hatten.

  • Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur,
  • Stiftung Rechtsstaat Sachsen-Anhalt
  • Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS)

Die Menschen in der DDR reagieren mit wachsendem Unmut auf den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ und die verstärkte Unterdrückung durch das SED-Regime. Die Flüchtlingszahlen steigen deutlich. Alleine in den ersten vier Monaten des Jahres 1953 fliehen 120.000 Menschen. Seit Spätherbst 1952 kommt es wiederholt zu Arbeiterstreiks. Die Situation spitzt sich zu einer Herrschaftskrise der SED zu, deren Höhepunkt der Volksaufstand am 17. Juni 1953 ist.

Verschlechterung der Lebensbedingungen

Die Lebensbedingungen der Menschen haben sich deutlich verschlechtert, vor allem im Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland: Als Folge des Ausbaus der Schwerindustrie bleibt die Versorgung mit Konsumgütern hinter den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung zurück. Die Kollektivierung von Landwirtschaft, Gewerbe und Handwerk führt zu Versorgungsengpässen. Lebensmittel sind knapp, Strom- und Wasser regelmäßig gesperrt. Um den Aufbau der Kasernierten Volkspolizei zu finanzieren, streicht das SED-Regime Subventionen und erhöht die Preise. Auf Verweigerung, Protest oder Widerstand gegen die SED-Politik reagiert es mit Unterdrückung.

Erhöhung der Arbeitsnorm

Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage wird vom SED-Regime nicht als Folge eigener Fehler erkannt, sondern „Klassenfeinden“ und „Saboteuren“ angelastet. Umfangreich geht es gegen vermeintliche „Wirtschaftskriminelle“ vor. Die SED-Führung erhöht im Mai 1953 die Arbeitsnormen um 10 Prozent, um die Arbeitsproduktivität zu steigern. Der Lohn bleibt hingegen gleich.

Flucht und Protest

Die Antwort vieler Menschen auf diese Lage ist die Flucht. Verlassen 1952 182.393 Menschen die DDR, sind es ein Jahr später etwa 331.300 Flüchtlinge. Auch kommt es zu kurzen Arbeitsniederlegungen und Protesten. Schließlich erheben sich die Menschen in der DDR am 17. Juni 1953 gegen das SED-Regime.

Quelle: (mw) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Stand: 29.02.2016
Würz, Markus: Wachsender Unmut, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/weg-nach-osten/wachsender-unmut.html

Stimmungslage in der DDR 1953

Dies war auch die Zeit der beginnenden Sozialisierung. Die Bauern wurden enteignet, mussten sich in Kolchosen zusammenschließen. Die Handwerker kamen auch unter diesen Druck, wer sich weigerte, bekam keine Aufträge. In den Betrieben gab es laufend „Normerhöhungen“, die Arbeiter fingen an zu murren. Man hörte ständig von Flüchtlingen, die sich heimlich in den Westen abgesetzt hatten. Einige waren geschnappt und wegen „verbrecherischer Republikflucht“ zu Zuchthaus verurteilt worden. Immer mehr Bekannte waren geflohen, schließlich auch unsere Mieter-Familie.[Meine Ehefrau] Evchen fragte mich um Rat, wie wir uns verhalten sollten. Ich dachte an das herrliche Haus, das Grundstück, Evchens und meinen Beruf, Natchens Schule, alles wichtige Gründe, nicht einfach ins Blaue hinein alles liegen zu lassen. Ich sagte, dass ich in der Gefangenschaft die ganzen Phrasen gelernt hätte, die man braucht, um in dieser Diktatur zu leben. Also machen wir hier weiter.

Am 5. März 1953 starb Stalin. Das wurde aber nicht gleich überall bekannt. In den „Volkseigenen Betrieben“ kam die Todesnachricht zuerst unter das Volk. Nach Dienst ging ich zunächst in die HO, den sozialistischen Laden, um zu sehen, was es eventuell Gutes gab. Es gab Bratwürste, ich kaufte drei. Zu Hause verkündete ich Evchen und Natchen: „Heute gibt es Bratwürste!“ Natchen war erstaunt und meinte, heute sei doch erst Donnerstag, so etwas gibt es doch nur am Sonntag. Ich, im Flüsterton: „Stalin ist gestorben!“ Großer Jubel der ganzen Familie. Das hat uns geschmeckt!

Karl Eduard von Schnitzler: Der Anschlag auf den Frieden ist gescheitert [DDR-Rundfunk, 18.6.1953]

Nach anderthalb Tagen wurde ein Abenteuer beendet, das den demokratischen Sektor Berlins zu einem Brandherd machen sollte, der zu einem Weltbrand hätte entfacht werden können. Je mehr Einzelheiten bekannt werden, je mehr sich die Nachrichten häufen, je mehr man die dokumentarischen Tatsachen zusammenstellt, desto unverwischbarer und klarer formt sich ein Bild der Vorgänge, das Folgendes deutlich werden läßt:

Es ging nicht um Normen, nicht um freie Wahlen, nicht um die Verbesserung des Lebensstandards, nicht um eine – wie immer geartete – Freiheit; sondern unter Mißbrauch des guten Glaubens eines Teils der Berliner Arbeiter und Angestellten, gegen grobe Fehler bei der Normerhöhung mit Arbeitsniederlegung und Demonstrationen antworten zu müssen, wurde von bezahlten Provokateuren, vom gekauften Abschaum der Westberliner Unterwelt ein Anschlag auf die Freiheit, ein Anschlag auf die Existenz, auf die Arbeitsplätze, auf die Familien unserer Werktätigen versucht. Nicht weil Unzufriedenheit herrschte, haben Provokateure die Unruhen entfesselt, sondern weil von unserer Regierung und vom Politbüro der SED alle Maßnahmen und Schritte eingeleitet worden sind, um die Anlässe der Unzufriedenheit zu beseitigen, die Lebenshaltung unserer Werktätigen umgehend zu verbessern und Hindernisse für die Einheit Deutschlands wegzuräumen. Die Maßnahmen, die unsere Regierung auf Empfehlung des Politbüros der SED in der vorigen Woche eingeleitet hat, die prinzipielle Wendung unserer Politik haben die Zustimmung aller gefunden und eine überzeugende Wirksamkeit auf das westliche Ausland, auf Westdeutschland und vor allem auf Westberlin gezeitigt. Um diese, von allen Menschen mit Genugtuung aufgenommene Wendung zu durchkreuzen, um die eingeleitete schnelle Verbesserung der Lebenslage zu vereiteln, um den überzeugenden Beweis für den Willen unserer Regierung, alles für die Einheit Deutschlands zu tun, unwirksam zu machen, haben westdeutsche und amerikanische Friedensfeinde, haben die Politiker des Generalvertrages diese Aktion angestiftet.

Von langer Hand vorbereitet, nachweislich in den Hauptquartieren des BDJ in Westberlin und anderer faschistischer Organisationen unter Mitwirkung von Jakob Kaiser und seinen sogenannten Dienststellen organisiert und geleitet, mit der Absicht, diese Provokation bis zum Ende anzuwenden, das heißt aufs Ganze zu gehen, ist das anderthalbtägige Abenteuer das Werk des sogenannten Regierenden Bürgermeisters von Westberlin, Ernst Reuter. Auch sein Versuch, sich durch seine Abwesenheit von Westberlin in dem Augenblick, da er die von ihm gelegten Minen sprengen ließ, ein Alibi zu verschaffen, rettet Reuter nicht vor der mit den Aussagen von Zeugen und verhafteten Provokateuren bewiesenen Anklage, der Inspirator, der Anstifter dieses Verbrechens gegen die Berliner Bevölkerung zu sein. Es ist nur gesetzmäßig und natürlich, und es konnte gar nicht anders kommen, daß ein so ungeheuerlicher Anschlag zusammengebrochen ist.

[Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv]

Karl-Eduard von Schnitzler zum sogenannten Volksaufstand 17.06.1953

Hinweis zur geschichtlichen Forschung über die BRD

Welche Arbeiteraufständen wurden während der Währungsreform nach 1948 durch die Westalliierten in Westdeutschland niedergeschlagen?

Ressourcen:

 

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