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Es zogen auch Leute in die DDR

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„Geht doch nach drüben!“

Systemkritiker in der BRD bekamen oft den Satz zu hören: „Geht doch nach drüben!“  Laut Spiegel sollen zirka 500.000 Menschen allein von West-Deutschland in die DDR übergesiedelt sein. Die Tausenden Menschen hatten für ihre Zuwanderung aus dem Westen in die DDR verschiedene Gründe:

  • Flucht als Kommunisten oder Sozialisten/Sozialdemokraten aus ihren Ländern wegen politischer Verfolgung
  • Entgehen einer drohenden Strafverfolgung
  • Mithilfe am Aufbau des Sozialismus
  • Rückkehrer, die vor 1961 die DDR verließen
  • Familiäre Gründe

Die DDR zeigte gegenüber den Übersiedlern vor allem aus der BRD eher Misstrauen und Skepsis, auch aus Motiven der Spionageabwehr. Daher mußten in den Jahren zwischen 1961 und 1989 alle Zuwanderer zunächst in sogenannte Aufnahmeheime, die „eine Mischung aus Internierungslager und sozialistischem Internat“ waren.

Auch spätere Prominente kamen in die DDR

Hier einige prominent gewordene DDR-Bürgern, die vorher in West-Deutschland lebten. Einige davon engagierten sich zunächst für das neue sozialistische System in der DDR, gerieten dann aber in ernste Konflikte mit dem SED-Machtsystem in diesem Landes:

  • Ralph Giordano (1923 in Hamburg – 2014 in Köln)Journalist, Publizist, Schriftsteller und Regisseur in Hamburg geboren, 1946 bis 1957 Mitglied der seit 1956 in der BRD verbotenen KPD.  „1955 siedelte Giordano in die DDR über, wo er neun Monate blieb, um ernüchtert wieder nach Hamburg zu ziehen.“
  • Ernst Bloch (1885 in Ludwigshafen am Rhein – 1977 in Tübingen): Philosoph, kam 1949 aus dem USA-Exil in die DDR, lebte bis 1961 in Leipzig. Der überzeugte Marxist wurde zum „DDR-Philosophen“ seit 1955. Nach den politischen Unruhen in Ungarn 1956 entwickelte er Positionen gegen die SED-Politik und wurde als „Revisionist“ isoliert. 1961 kehrte er von einer BRD-Reise nicht wieder in die DDR zurück.
  • Wolf Biermann (1936 in Hamburg – )Lyriker und Liedermacher aus Hamburg , 1950 nahm er als Sprecher von 800 westdeutschen Pionieren am 1. Deutschlandtreffen der Jugend in Ost-Berlin teil, sprach dort ein Gelöbnis der Treue zur DDR und zur Einheit Deutschlands; 1953 in die DDR übergesiedelt, war Schüler von Bert Brecht und Hanns Eisler, später Kritiker der SED und der DDR, bekam  1965 Auftritts- und Publikationsverbot. wurde 1976 nach einer Konzerttour in der Bundesrepublik Deutschland die Wiedereinreise in die DDR verweigert, und er wurde ausgebürgert.
  • Robert Havemann (1910 in München – 1982 in Grünheide): Chemiker, Kommunist (seit 1932), Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus (Rote Kapelle und Widerstandsgruppe Europäische Union) und Kritiker der DDR, wechselte 1950 aus West-Berlin in die DDR (Ost-Berlin) über, wurde 1951 SED-Mitglied, 1964 Parteiausschluß, weil er  „unter der Flagge des Kampfes gegen den Dogmatismus von der Linie des Marxismus-Leninismus“ abgewichen sei und sich des „Verrats an der Sache der Arbeiter- und Bauernmacht schuldig gemacht“ habe. 1965  Berufsverbot,  1976 – 1979 Hausarrest (Robert Havemann Gesellschaft)

Einige tausend Flüchtlinge kamen im Herbst 1973 aus Chile in die DDR

Am 11. September 1973 putschte mit USA-Hilfe das Militär unter General Augusto Pinochet den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Viele Sozialisten und Kommunisten aus Chile fanden in der DDR Zuflucht, kamen in ihren Ländern teilweise mit dem Leben davon.

Dr. Michelle Bachelet

Unter diesen wirklichen politischen Flüchtlingen war auch die erste Frau als Präsidentin Chiles von 2006 bis 2010 sowie von 2014 bis 2018, Dr. Michelle Bachelet.

Sie ist die Tochter des Generals der chilenischen Luftwaffe, Alberto Bachelet, der beim Putsch 1973 in Chile Präsident Salvador Allende loyal blieb und von Angehörigen des Regimes von Augusto Pinochet gefangen genommen und gefoltert wurde. Im Jahr darauf erlitt er einen tödlichen Herzinfarkt. Michelle und ihre Mutter flohen über Australien in die DDR …  Dort lernte sie am Herder-Institut der Universität Leipzig Deutsch und studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Medizin. 1979 kehrte sie in ihre Heimat Chile zurück und trat der Sozialistischen Partei bei. 2006 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Berliner Charité für ihre Verdienste als Kinderärztin und Politikerin um das Gesundheitswesen und die Versorgung unterprivilegierter Menschen in Chile.

„Was Ihr hier in der DDR macht, ist kein Sozialismus!“

Eine Soziologin aus Chile mußte mit ihrem Mann nach dem Putsch gegen Präsident Allende ins Ausland flüchten. Sie wollten in die sozialistische DDR. Sie selbst bezeichnete sich als „Sozialistin“. So kam sie zu uns Sozialpsychologen an die FSU in Jena. Ihr Mann, der sogar Leibarzt von Allende war, ein guter Chirurg durfte jedoch in der DDR nicht operieren, wodurch seine Fähigkeiten nicht weiter trainieren konnten und seine berufliche Arztkarriere unklar blieb.

Ich hatte persönlich mit dieser Frau häufige und lange Diskussionen über das Geschehen in Chile und natürlich über die DDR. Sie war breit allgemeingebildet und welterfahren durch viele Reisen in mehrere Länder der Welt. Als kluge Analytikerin mit großem Vergleichs- und Unterscheidungsvermögen vertrat sie klar die These: „Was Ihr hier in der DDR macht, ist kein Sozialismus!“

Eines Tages reiste sie für soziologische Studien auf DDR-Kosten von Jena nach Moskau in das Archiv der KPdSU. Die Reise wurde von der zuständigen Stelle an der Uni Jena vorbereitet und so flog sie erstmals in die Sowjetunion. Als sie später wieder in Jena war, erfuhren wir, daß sie – in Moskau angekommen – inhaftiert wurde, weil sie kein Einreisevisum mitgebracht hatte. Die Reise-Verantwortlichen in Jena hatten geglaubt, weil diese Chilenin doch einen internationalen Reisepaß besaß, daß sie einfach so in die Sowjetunion einreisen könne. Während an der Uni die verantwortlichen Mitarbeiter wegen dieses Vorfalls scharf kritisiert und auch bestraft wurden, kam unsere Soziologin-Kollegin zufrieden und frohen Mutes nach Jena zurück. Sie verstand unsere Aufregung und diese hausinterne Kritik überhaupt nicht.  Sie konnte doch interessante Dokumente einsehen und auswerten, brachte gute Erkenntnisse und Erfahrungen mit. Ihr Vater hätte immer wieder mal gesagt: „Einmal im Leben mußt Du auch im Knast gewesen sein!“ Und nun war sie auch einmal im Gefängnis – zwar glücklicherweise nicht in Chile, aber in der Sowjetunion. Und sie hatte dort im sowjetischen Gefängnis ein wunderbares Erlebnis mit einer russischen Wärterin. Mit dieser unterhielt sie sich stundenlang in gutem Englisch und erfuhr dadurch so viel Interessantes über Moskau und die Sowjetunion, was sie doch sonst nicht erfahren hätte. Nach diesen nächtlichem Gespräch im Gefängnis konnte das Visum-Problem gelöst werden und sie führte – wie geplant – in Moskauer Archiven ihre Studien über die kommunistische Weltbewegung durch.

Prof. Dr. Ingrid Deich siedelt 1979 aus den USA in die DDR um

Ich schrieb 1974 eine Diplomarbeit an der FSU zu den „Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Soziologie und Sozialpsychologie“. In diesem Zusammenhang traft ich 1979 in Leipzig eine Kommunistin, die aus West-Deutschland kommend in die USA ging, dort als Soziologie-Professorin an der University of Missouri at Rolla arbeitete,  und dann in die DDR übersiedelte. Sie war dankbar für die freundliche Aufnahme in der DDR, sie arbeitete inzwischen als ordentliche Professorin an der Karl-Marx-Universität in Leipzig auf ihrem Gebiet der Soziologin. Ich traft sie mit ihrem Mann in ihrer neu bezogenen Wohnung in Leipzig. Schnell stellten wir zueinander eine Brücke her und unterhielten uns ausgiebig die ganze Nacht hindurch. Es ging mehr um ihre persönlich-authentischen Schilderungen vom Leben als Kommunistin unter kapitalistischen Bedingungen in den USA. Das war für mich in dieser Begegnung wertvoller als die fachliche Diskussion meiner Diplomarbeit, die ja schon abgeschlossen und verteidigt war: Alles dreht sich dort nur ums Geld; das Leben in sozialen Schichten – geordnet nach den Wohngebieten (Adressen);  die Oberflächlichkeit der Kommunikation und des Zusammenlebens; die prüde Heuchelei in der Gesellschaft (das völlig übliche Fremdgehen, die ungleich Behandlung von Männern und Frauen, sich als Frau für die Karriere Hoch-Schlafen-Müssen); die Befristung von Anstellungen (auch an den Universitäten); so bekam sie aufgrund ihrer kommunistischen Haltung und dementsprechenden Forschungen keine Gelder und Anstellung mehr

Diese Schilderungen über das Leben in den USA machte mich damals Stolz, in der sozialistischen DDR leben zu dürfen, wo sehr viele dieser Probleme nicht (mehr) bestanden.

Ingrid Deich: Zwischen Dallas und New York: Wie ich die USA erlebte: Notizen eines Aufenthaltes (1986)

Buchbeschreibung:

Sie sieht die USA vom marxistischen Standpunkt aus. Ihr Buch, mit vielen Anmerkungen und Literaturverweisen versehen, ist eine sachliche Analyse der Arbeitssituation in den USA, des Schul- und Universitätswesen, der Situation der Frauen, des Familienlebens, des amerikanischen Fernsehens und der US-Politiker. Es ähnelt eher einer soziologischen Studie als dem im Titel angekündigten Erlebnisbericht.

 

Ressourcen:

Zuwanderung in die DDR. Von West nach Ost

Die SED ließ fast jeden Einwanderer in die DDR

 

 

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