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Vater geht aus der SED-Kreisleitung raus

Vater geht aus der SED-Kreisleitung raus

Nachdem mein Vater erfolgreich als Journalist in der Niederlausitz bei der Partei-Zeitung „Lausitzer Rundschau“ arbeitete, bekam er den (Partei-)Auftrag als Referent des Ersten Kreissekretärs der SED in Senftenberg kompetent zur Seite zu stehen. Man sagte, er arbeitet in der „Kreisleitung“, aber hatte keine Parteifunktion und war dort nur geistiger Hilfsarbeiter.

Da mein Vater selbst gut reden und sich auch schriftlich ausdrücken konnte, schrieb er also alle Reden für den SED-Chef in Senftenberg, denn es war üblich, daß diese Funktionäre nicht frei redeten (wahrscheinlich auch nicht konnten), sondern nach vorbereiteten und beschlossenen Redemanuskripten (selbst eine kleine Rede zur Eröffnung einer Jugendweihefeier, nicht nur zu Parteiversammlungen im Kreismaßstab).

Das machte mein Vater einige Zeit und er wurde frustriert und unzufrieden, weil sein Können als Redenschreiber oder Journalist eigentlich nicht gefragt war, denn jede Rede mußte im Sekretariat des Kreissekretärs besprochen und verabschiedet werden. Die unausgesprochene Norm war dabei, daß eine von ihm vorbereitete Rede nie im ersten Anlauf bestätigt und dann so gehalten wurde. Mitunter gab es mehrere solcher Redenentwürfe und Kritikrunden mit immer neuen Ideen zur Überarbeitung der Rede, bis mitunter in letzten  Minute noch Änderungen erfolgen sollten. Das demütigte meinen Vater. Dazu kam dann noch die selbstherrliche Art und Weise des Ersten und seine mehr oder weniger unsinnigen Korrektur-Aufforderungen. Mein Vater konnte seinen Unmut (seine Kritik) am arroganten Ersten Kreissekretär und diesem Machtgehabe sogar innerhalb der Partei nicht anbringen, denn die andere Seite wußte „immer alles besser“. Er suchte nach einem Ausweg und entwickelte einen Zwei-Etappen-Plan für sich selbst:

Erste Etappe: Innere Kündigung

Mein Vater begeisterte sich jedoch für schönes, geistvoll-kreatives Schreiben, das kluge Jonglieren mit der wunderbaren deutschen Sprache (er hätte besser Schriftsteller werden sollen). Dazu beschäftigte er sich natürlich auch mit Kollegen aus dem Kommunikations-Metier der DDR. Dabei entdeckte er den in der DDR geschätzten Professor Franz Löser: Und in einer seiner Veröffentlichungen fand er eine satirische Lösung seiner Lage, die ihn wenigstens bei seiner Arbeit etwas listig schmunzeln ließ.

Franz Loeser hatte in seinem Buch „Durchbruch des neuen Geschlechts“ eine dreiteilige Liste DDR-üblicher Worte versteckt eingefügt und die (satirische) Behauptung aufgestellt, damit könne bei entsprechender Kombination ein jeglicher Redner jedes beliebige Referat zu jedem beliebigen Thema bestreiten. Und damit arbeitete mein Vater im Folgenden. Durch Analyse früher Reden seines Chefs fand er heraus, daß immer ähnliche (gleiche) Texte gewünscht wurden. Dazu gehörten auch die Wortkombinationen nach Franz Löser. So konnte er ein Reden-Muster (seines Chefs) identifizieren. Beim nächsten Auftrag schrieb er einfach etwas drauflos, was sowieso „zerrissen“ wurde. Dann nahm er eine alte „abgenickte“ Rede aus dem Archiv hervor (heute würde das mit Dateispeicherung im PC noch viel einfacher und schneller gehen), aktualisierte die enthaltene alte Bezeichnung der ZK-Tagung oder des SED-Parteitages, fügte je nach Lust und verbliebener Zeit noch die eine oder andere Ergänzung oder ein aktuelleres Zitat hinzu und schon war er fertig. Er hatte nun Zeit für sich und sein Vergnügen:

  • Lesen schöngeistiger Literatur, vor allem der „Die deutschen Klassiker“, aber auch weitere  Weltliteratur. Er konnte sich daran erbauen und ließ sich geistig und sprachlich inspirieren. Das war für Lesen im „kulturelles Gedächtnis“ der Deutschen oder anderer Länder.
  • Gehirntraining mit Kreuzworträtseln, die er meist sehr schnell löste, weil er mit Sprache und Bedeutungen umgehen konnte.

Übrigens heißt eine solche Funktion heute „Ghostwriter“ auf Englisch, denn Englisch ist im Deutschen modern!  Ein Ghostwriter (wörtlich: Geisterschreiber), auch Auftragsschreiber, ist ein Autor, der im Namen und Auftrag einer anderen Person schreibt. (Wikipedia)

Zweite Etappe: Äußere Kündigung

Mein Vater hatte vor dem Krieg in der Landwirtschaft gelernt, interessierte sich für Natur und Gartenbau und Landwirtschaft, engagierte sich in seiner Freizeit selbst als Kleingärtner und im Vorstand der von ihm in Senftenberg mit aufgebauten Kleingartenanlage „Glück auf!“ innerhalb des „Verbandes der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter“. Dieser Verband war eine sozialistische Massenorganisation in der DDR, weil sie über 1,5 Millionen Mitglieder vereinte. Da ich ihm damals in dern 1960er Jahren half, das Land für die Gartenanlage mit den Parzelle zu vermessen, den per Los zugewiesenen Garten urbar zu machen und Schritt für Schritt zu kultivieren, erlebte ich auch, daß mein Vater unter den Kleingärtenr sehr beliebt und geschätzt war. Er setzte sich für ihre Interessen und Bedürfnisse ein, klärte Nachbarschaftskonflikte, organisierte neue Pflanzen und vor allem auch die gegenseitige Hilfe untereinander in der Anlage usw. So kam der Tag, daß die Kreisorganisation dieses Verbandes VKSK einen neuen (hauptamtlich arbeitenden) Vorsitzenden brauchte. Und – wie Wunder – wurde für die Neuwahl mein Vater von den Kleingärtner, Siedlern und Kleintierzüchter favorisiert. Mein Vater hatte dann nur noch wenige Argumente für seinen Partei-Chef: Der VKSK ist eine wichtige sozialistische Massenorganisation mit mehr Mitgliedern in Senftenberg als SED-Parteimitglieder. Dort wird eine gute Führung gebraucht, weil diese Organisation auch sehr wichtig für die Selbstversorgung der Bevölkerung mit Gemüse oder Kleinvieh (z.B. Hühner, Kaninchen) war. Der Erste stimmte zu, daß mein Vater Vorsitzender des Kreisverbandes VKSK  wurde.  Mein Vater verließ die SED-Kreisleitung mit Schmunzeln. Seine letzten Jahre widmete er sich engagiert diesem Verband, leistete dort bei den Menschen anerkannte Arbeit.

Und hin und wieder wurde er als Vertreter der Massenorganisation VKSK an den Tisch des Ersten der SED-Kreisleitung gebeten, „hinzitieren“ ließ er sich nicht mehr. Seine Organisation war mitgliedermäßig sogar stärker als die Partei! Und dort konnte er unabhängiger auch manches Anliegen für seinen Verband durchsetzen – er war ja dort länger ein Insider und wußte wie man dort „tickte“…

 

(Fotoquelle: www.omnia.ie)

 

 

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