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Die Westpakete

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Der Westen will mit privaten Paketen den konstatierten Mangel im Osten ausgleichen

Ich bekam in meinem DDR-Leben nie ein Paket aus dem Westen … und habe das gut überlebt. Mein Vater hatte zwar Verwandte in Westdeutschland, aber keinen Kontakt zu ihnen. Wir lebten in zwei Welten – in der DDR und in der BRD. So war es nun einmal entstanden. Der Westen wollte nach dem Krieg diese Teilung Deutschlands (Adenauer: „Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb.“) Doch viele Menschen in der DDR hatten Verwandte in der BRD, unterhielten Kontakte zu ihnen und empfingen Geschenkpakete (nicht nur zu Weihnachten).

Kaffee wurde Ende der 1970er Jahre in der DDR zum Politikum  

JACOBS KROENUNG GROUNDJa, manchmal sprang einen der Unterschied bestimmter Produkte aus dem Westen und aus der DDR „ins Gesicht“. Ein starkes Thema dabei war der Kaffee. „Jacobs-Kaffee“ war die Krönung des Kaffee-Geschmacks und fast ein Synonym für den Westen. Der Kaffee aus dem Westen war per sé besser, er roch besser und schmeckte einfach besser. Und ein guter Kaffee hatte und hat immer noch in der deutschen Kultur einen festen Platz.

Kaffee-Bohnen in verschiedener Güte werden auf dem Weltmarkt gehandelt. 1977 explodierte plötzlich auf dem Weltmarkt der Kaffeepreis. Die Einkäufer im DDR-Außenhandel mußten eine Entscheidung fällen, wofür das im Lande erwirtschaftete Geld verwendet wird. Kaffee hätte für wertvolle Devisen (konvertierbare Währungen) auf dem Weltmarkt eingekauft werden müssen. Diese waren aber im isolierten Wirtschaftssystem der DDR mit nicht-konvertierbarer Währung nicht in der Höhe vorhanden. Es war also nicht so einfach für die Bilanz des gesamten DDR-Finanzhaushaltes zu entscheiden, denn die DDR wollte in keine finanzielle Abhängigkeit vom Westen (Kredite mit Zinsen und Zinseszinsen) geraten.

Aus dieser komplizierten Situation heraus entschied sich die DDR-Regierung für eine machbare, aber nicht schmackhafte Kaffee-Variante „Kaffee-Mix“. Die DDR-Bevölkerung kauften und tranken diesen Kaffee-Ersatz jedoch nicht. So entstand verbreitete Unzufriedenheit im Land, ein Politikum.  Sie nannten es diffamierend Erichs Krönung“.

Im Westen und auch in der unzufriedenen DDR-Bevölkerung behauptete man, „die DDR-Oberen (versuchten), den Bürgern das Kaffeetrinken abzugewöhnen“.

Es gab nur Spott und Hohn: Vom neu erdachten „Kaffee-Mix“ wandten sich zu DDR-Zeiten die meisten mit Grausen ab. Dann wurde sehnsüchtig auf das nächste Päckchen von der West-Tante gewartet – mit echtem Bohnenkaffee.“ (www.moz.de)

Später gelangt es dann (auch über Verträge mit dem befreundeten Angola) bessere DDR-Kaffee-Marken zu etablieren und in den Handeln zu bringen. Die Lage an der Kaffee-Front entspannte sich etwas. Diesen Kaffee konnte man gut trinken. Sogar meine heutige Frau Marie, die aus Luxemburg stammt und damals in West-Berlin lebte) kennt den „Rondo“-Kaffee der DDR und trank ihn sogar gern. Die DDR-Lebensmittelindustrie wurde längst zerstört. Es existiert heute nur noch der einstige DDR-Kaffeeproduzent, die 1908 gegründete Firma „röstfein“ aus Magdeburg. Und auch die alten DDR-Sorten sind noch im Programm: „Mona“, „Mocca fix gold“ und „Rondo“.

West-Pakete für die armen „Zonies“

Die Sendungen von Paketen an die lieben Verwandten „in der Zone“ wurden den westdeutschen Bevölkerung gut und überzeugend erklärt. Sie glauben das bis heute (im Jahr 2020):

  • In der DDR herrscht noch die Not und der Hunger der unmittelbaren Nachkriegszeit!
  • Mit dem Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen besteht eine „generelle Versorgungsverpflichtung der Bundesbürger für die DDR-Bürger“
  • Das Westpaket dient „der Versorgung bzw. dem Ausgleich eines für die DDR konstatierten Mangels an alltäglichen Gütern“.
  • Moralische Verpflichtung des Bundesbürgers zum Geben gegenüber den Bedürftigen armen Menschen in der sogenannten DDR
  • Geschenksendungen“, die vom konsumgesegneten Westen in den unterversorgten Osten geschickt wurden (Spiegel, 23.09.2019)
  • Es waren „Geschenke für unsere Brüder und Schwestern“ (Die Zeit, 1985)
  • Die westdeutschen Poststellen appellierten mit bunten Plakate drohend an das Gewissen: „Dein Päckchen nach drüben – sie warten drauf!“, „Hast du das Deine schon getan?“, „Baue eine Brücke – sende Bücher nach drüben“.
Zeitungsartikel, der in der Neuen Rhein/Ruhr Zeitung (NRZ) in Westdeutschland im Mai 1952 erschien

Schickt Pakete zur Sowjetzone
18 Millionen müssen hungern – Hilfe des Westens notwendig
Von unserem Berliner Büro

NRZ Berlin.  Die Versorgungskrise in der Sowjetzone verschärft sich von Tag zu Tag. Während bis vor wenigen Wochen nur Fett und Fleisch knapp waren, sind jetzt so gut wie alle Lebensmittel Mangelwaren. Ohne jede Übertreibung kann gesagt werden, daß die Bevölkerung der Sowjetzone Hunger leidet.

Jedes Paket aus dem Westen ist für die Menschen in der Sowjetzone ein kostbares Geschenk. Die Wirkung solcher Pakete ist mit den Geschenksendungen zu vergleichen, die viele Einwohner der Bundesrepublik und West-Berlins vor der Währungsreform aus dem Ausland erhalten haben.  Heute wird es in West-Berlin als eine der dringendsten Aufgaben des Westens angesehen, die Sowjetzonen-Bevölkerung mit Lebensmittelsendungen zu unterstützen. Die Zeitungen und der Rundfunk appellieren täglich an die Bevölkerung: „Vergeßt nicht unsere Brüder und Schwestern in der Zone. Schickt ihnen Pakete!“ Die NRZ ist auf Grund umfangreicher Nachforschungen in der Lage, ihren Lesern eine verbindliche „Gebrauchsanweisung“ für Lebensmittelpakete zu geben.

Seit dem 18. Oktober laufen in der Sowjetzone sämtliche Pakete aus dem Westen durch sogenannte Kontrollpunkte. Hier werden sie von SSD-Beamten [Anm.: SSD=Staatssicherheitsdienst] und Beauftragten der Post auf ihren Inhalt kontrolliert. Etwa jedes zehnte bis fünfzehnte Paket wird zurückgeschickt, weil es den Bestimmungen nicht entspricht.

Über die Art der Bestimmungen besteht auch heute noch keine restlose Klarheit. Sicher ist nur Folgendes: Es können Pakete bis zu 7 kg und Päckchen bis zu 2 kg versandt werden. Der Versandt von Kaffee und Kakao ist, wie bereits mehrfach gemeldet, auf je 250 g beschränkt, der Versand von Tabakwaren auf 50 g.

Andere Beschränkungen bestehen vorerst nicht, jedoch ist wichtig, daß man folgendes beachtet: Der Inhalt der Pakete muß möglichst reichhaltig sein, d. h., ein Paket soll möglichst viele Sorten von Waren enthalten und in keinem Fall mehr als ein Kilogramm Fett.  Für Textilien, die in der Sowjetzone ebenfalls zu den Mangelwaren gehören, gilt die interne Vorschrift der Sowjetzonen-Behörden, daß zwei Paar Strümpfe für Damen, Herren oder Kinder, eine Wäschegarnitur für Damen oder eine für Herren und ein Oberhemd oder ein Schlafanzug als Geschenksendung anerkannt und ohne Beanstandung an den Empfänger in der Sowjetzone ausgeliefert werden. Alles, was an Textilien über die angeführten Dinge hinausgeht, ist warenbegleitscheinpflichtig. Das gilt insbesondere für Kleiderstoffe oder für neue Kleider. Dagegen werden Schuhe und Kleider, bei denen klar zu erkennen ist, daß sie gebraucht sind, nicht beanstandet.

Unter keinen Umständen dürfen den Paketen Zeitungen oder andere Druckschriften, auch nicht als Packmaterial, beigelegt werden. Dieses führt zur sofortigen Beschlagnahme der gesamten Sendung.  Wichtig ist, daß alle Pakete in deutlicher Druckschrift „Geschenksendung. Keine Handelsware“ tragen und ihnen ein Inhaltsverzeichnis in doppelter Ausführung mit genauer Angabe aller in dem Paket enthaltenen Waren beiliegt.  Ferner ist zu beachten, daß als Absender unter allen Umständen eine Privatadresse angegeben sein muß.

Ein Kommentar im Internet zu den Westpaketen

„Die Westdeutschen schickten tatsächlich nur minderwertige Ware, meist abgelegte Sachen oder gebrauchte Ware. Sie konnten das aber alles von der Steuer absetzen. So gönnerhaft, wie viele Westdeutsche heute tun, waren sie nicht, dann hätten sie ja auch Geld schicken können. Haben sie aber nicht. Aber dies alles ist typisch deutsch.“ (

Etwas historisch Lustiges an den Westpaketen

Noch 1988 wurden 13 Millionen Paar Strumpfhosen von West-Deutschland in die DDR geschickt. Die DDR belieferte als Billiglohnland die BRD u.a. mit vielen Konsumgütern und Textilien, so auch mit Strumpfhosen.

Das Westpaket als Bestandteil des Kalten Krieges gegen die DDR

Konstanze Soch: Eine große Freude?: Der innerdeutsche Paketverkehr im Kalten Krieg (1949-1989) 

Buchbeschreibung:

Während der Teilung Deutschlands war der Päckchen- und Paketverkehr zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland für viele Menschen die einzige Möglichkeit, mit Verwandten und Bekannten zu kommunizieren und sie mit Geschenken zu bedenken. In beiden Staaten kam ihm daher schnell auch eine politische Funktion zu. Wie gestaltete sich der innerdeutsche Päckchen- und Paketverkehr? Welche Vorstellungen vom Leben „hüben wie drüben“ und vom jeweiligen Gegenüber prägten den Versand? Welche Bedeutung hatte dies nach der Wiedervereinigung für die Versender und Empfänger? Konstanze Sochs Studie, eine Beziehungsgeschichte der politischen Kultur im geteilten Deutschland, führt direkt in das Herz der Abgrenzungs- und Annäherungsversuche beider deutscher Staaten.

Christian Härtel, Petra Kabus: Das Westpaket. Geschenksendung, keine Handelsware

Buchbeschreibung:

Für viele ehemalige DDR-Bürger ist der Geruch, der einem frisch geöffneten Westpaket entströmte, untrennbar mit Weihnachten verbunden. Aber auch im Westen hatte das »Päckchen nach drüben« mit den dafür nötigen Besorgungen einen festen Platz im Jahreslauf. Der Inhalt dieser Sendungen prägte das Bild vom jeweils anderen Staat entscheidend: Markenjeans und Nivea riefen weitere Konsumwünsche hervor, und die Gegengeschenke wie Weihnachtspyramiden und Christstollen zeigten das Bemühen um angemessenen Dank. Das Westpaket war zudem ein Politikum. Während die Ökonomen in der DDR private Geschenke in ihre volkswirtschaftlichen Bilanzen einrechneten, rief man im Westen dazu auf, man solle die »Brüder und Schwestern im Osten nicht vergessen«. Zoll und Staatssicherheit fanden dabei reichlich Arbeit. Der Warenfluß wurde genauestens kontrolliert, schließlich sollten keine»subversiven Materialien« die Grenze passieren. Das Buch beschreibt diesen deutsch-deutschen Paketaustausch aus östlicher und westlicher Perspektive. Die Herausgeber haben zahlreiche Paketpacker befragt, deren Erinnerungen die freundlichen, skurrilen, aber auch bedrückenden Seiten der privaten Paketkommunikation wieder aufleben lassen. Ergänzt durch literarische Texte und zahlreiche Abbildungen schnürten sie ein informatives und unterhaltsames Lesepaket.

Auszug:

„In den fünfziger Jahren hatte sich in der Bundesrepublik in Verbindung mit der Devise, man müsse den armen Brüdern und Schwestern in der Zone helfen, ein allgemeiner Konsens über eine generelle Versorgungsverpflichtung der Bundesbürger für die DDR-Bürger herausgebildet. Diese wurde von der Vorstellung eines allgemeinen Mangels in der DDR getragen und drückte sich in der häufig geäußerten Auffassung aus, daß in der DDR noch die Not und der Hunger der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschten, die in Westdeutschland spätestens seit Anfang der sechziger Jahre als überwunden galten.“

Über die Jahre entwickelte „die moralische Verpflichtung, prinzipiell etwas zu geben, wenn man Freunde oder Bekannte in der DDR hatte“ …

„Das Westpaket diente demzufolge der Versorgung bzw. dem Ausgleich eines für die DDR konstatierten Mangels an alltäglichen Gütern.“

Christian Härtel, Petra Kabus: Das Westpaket: Geschenksendung, keine Handelsware (2000), S. 106

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