Auszug aus einer Analyse im Politbüro der DES zur Lage in der DDR 1989
Gerhard Schürer/Gerhard Beil/Alexander Schalck/Ernst Höfner/Arno Donda, Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit
Schlussfolgerungen, Vorlage für das Politbüro des Zentralkomitees der SED, 30.10.1989
Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen
Die Deutsche Demokratische Republik hat beim Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft bedeutende Erfolge erreicht, die auch international anerkannt werden. in einer zur Vorbereitung des XII. Parteitages ausgearbeiteten Analyse werden die auf vielen Gebieten erreichten bedeutenden Erfolge bei der Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR ausführlich dargelegt, die hier nur zusammengefasst eingeschätzt sind.
- Es wurde ein dynamisches Wachstum des Nationaleinkommens über einen Zeitraum von 17 Jahren in Höhe von rd. 4 % durchschnittlich jährlich realisiert, wobei sich das Wachstum in der letzten Zeit im Zusammenhang mit dem Rückgang der produktiven Akkumulation verlangsamte.
- Auf dem Wege der Intensivierung wurden volkswirtschaftlich wichtige qualitative Aufgaben gelöst.
- Beim Einsatz von Roh- und Werkstoffen verminderte sich der spezifische Verbrauch gegenüber 1980 auf 74 %, wobei die Zielstellungen des Fünfjahresplanes 1986 – 1990 zur Senkung des spezifischen Materialverbrauchs nicht erreicht wurden.
- Bedeutende Ergebnisse wurden bei der Anwendung von Schlüsseltechnologien erreicht.
- Wir haben in der Mikroelektronik als eines der wenigen Länder der Welt die Entwicklung und Produktion mikroelektronischer Bauelemente einschließlich eines wesentlichen Teils der dazu
erforderlichen speziellen Produktionsausrüstungen für hochintegrierte Schaltkreise gemeistert. Dabei wird infolge des ungenügenden Standes der Arbeitsteilung ein breites Sortiment an mikroelektronischen Erzeugnissen entwickelt und produziert. Die Kosten für diese Erzeugnisse betragen z. Z. ein Mehrfaches des internationalen Standes. Ihr Einsatz in der Volkswirtschaft der DDR und im Export muss gegenwärtig mit über 3 Mrd. M pro Jahr gestützt werden. Die weitere Entwicklung verlangt dringend die Vertiefung der Kooperation, besonders mit der UdSSR. - Durch steigende Leistungen in der pflanzlichen und tierischen Produktion in der Landwirtschaft wurde der wachsende Verbrauch der Bevölkerung an Nahrungsmitteln sowie die Versorgung der Industrie mit Rohstoffen gewährleistet. Die aufeinanderfolgenden unterdurchschnittlichen Ernten in den Jahren 1988 und 1989 erfordern jedoch wiederum Getreideimporte aus dem NS, die durch hohe Anstrengungen in den vergangenen Jahren bereits abgelöst waren.
- Das Verkehrswesen wurde mit dem Schwerpunkt der Verlagerung der Transporte von der Straße auf die Eisenbahn entwickelt und die Elektrifizierung von 20 auf 40 % erhöht. Der Ausbau der Infrastruktur, darunter das Straßenwesen, musste insgesamt aufgrund der zurückgehenden Akkumulationskraft vernachlässigt werden; der Verschleißgrad des Autobahn- und Straßennetzes ist hoch.
- Das Realeinkommen der Bevölkerung verbesserte sich allein im Zeitraum 1980 – 1988, wo sich in vielen Ländern die Lebenslage der Werktätigen verschlechterte, um 4,4 % durchschnittlich jährlich.
- Das ist disproportional zum Wachstum des produzierten Nationaleinkommens mit 4,2 %.
- Seit 1970 wurden mehr als 3 Millionen Wohnungen neugebaut bzw. rekonstruiert und damit für 9 Millionen Menschen, d. h. mehr als die Hälfte der Bevölkerung der DDR, qualitativ neue Wohnbedingungen geschaffen.
- Infolge der Konzentration der Mittel wurden zur gleichen Zeit dringendste Reparaturmaßnahmen nicht durchgeführt und in solchen Städten wie Leipzig, und besonders in Mittelstädten wie Görlitz u. a. gibt es tausende von Wohnungen, die nicht mehr bewohnbar sind.
- Auf der Grundlage unseres sozialistischen Planungssystems konnten eine Reihe wichtiger Reformen, insbesondere die intensive Entwicklung der Volkswirtschaft in allen Hauptbereichen, rechtzeitig gewährleistet werden.
- Die Feststellung, dass wir über ein funktionierendes System der Leitung und Planung verfügen, hält jedoch einer strengen Prüfung nicht stand. Durch neue Anforderungen, mit denen die DDR konfrontiert war, entstanden im Zusammenhang mit subjektiven Entscheidungen Disproportionen, denen mit einem System aufwendiger administrativer Methoden begegnet werden sollte. Dadurch entwickelte sich ein übermäßiger Planungs- und Verwaltungsaufwand. Die Selbständigkeit der Kombinate und wirtschaftlichen Einheiten sowie der Territorien wurde eingeschränkt.
- Die Disproportionen im volkswirtschaftlichen Maßstab, zwischen den Zweigen sowie die schnellere Entwicklung der Finalerzeugnisse gegenüber der Zulieferproduktion konnten dadurch jedoch nicht eingeschränkt werden.
- Die Bildung und Ausgestaltung der Kombinate war ein richtiger und bedeutender Schritt zur Entwicklung der Leitung und Planung. Die vorgegebene Strategie, dass die Kombinate alles selbst machen sollten, führte zu bedeutenden Effektivitätsverlusten, die sich aus der objektiv notwendigenVertiefung der Arbeitsteilung und zunehmenden Kooperation ergebenden Effekte konnten nicht genutzt werden.
- Dadurch trat u. a. eine Tendenz der Kostenerhöhung ein, wodurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit abnahm.
- Das bestehende System der Leitung und Planung hat sich hinsichtlich der notwendigen Entwicklung der Produktion der „1000 kleinen Dinge“ sowie der effektiven Leitung und Planung der Klein- und Mittelbetriebe und der örtlichen Versorgungswirtschaft trotz großer Anstrengungen zentraler und örtlicher Organe nicht bewährt, da ökonomische und Preis-Markt-Regelungen ausblieben.
- Die Anwendung und Weiterentwicklung des Prinzips der Eigenerwirtschaftung ist richtig. Diese Prinzipien können aber nur effektiv gestaltet werden, wenn reale Pläne mit entsprechenden Reserven in den Bilanzen die Grundlagen sind. Nur unter diesen Bedingungen kann die Flexibilität und Beweglichkeit der Wirtschaft verbessert werden. Infolge der hohen Konsumtionsrate fehlen dazu jedoch materielle und finanzielle Mittel.