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Wir Jungen müssen die Führung übernehmen!

Meine konspirativen politischen Treffen in der Privatsauna

„Jede Generation stellt sich vor, intelligenter zu sein als die, die davor war, und weiser als die, die danach kommt.“ (George Orwell)

Wir waren drei politisch Gleichgesinnte, die sich in Jena kennen lernten und eine geraume Zeit lang regelmäßig auf einem eingezäunten Stück Wiese in den Jenaer Kernbergen trafen. Dort versammelten wir uns zunächst im Bungalow des einen von uns. Diese Hütte war etwas in den schrägen Hang in den Berg gebaut worden und bestand aus einem Raum, aber ausgestattet mit dem Nötigen zum Verbringen von Freizeit und sogar zur Übernachtung. Dort wärmten wir uns zunächst mit etwas Alkohol innerlich auf, was in der ausgekühlten Hütte vor allem im Winter gut tat. Anschließend verlegten wir unser Treffen in die nebenan gebaute sehr kleinen Sauna. Diese mannshohe Sauna hatte der handwerklich begabte Gastgeber für sich allein dort im Stil einer Mini-Finnhütte selbst gebaut. So konnte darin nur einer von uns Dreien oben auf der kleinen Pritsche mit angehockten Beinen rücklings schwitzen, während die beiden anderen davor auf Hockern eng beieinander saßen. Alle drei mußten wir uns vorsichtig hinein und hinaus bewegen, um nicht an oder auf dem heißen Saunaofen zu verbrennen. Das war einfach romantisch und wir hatten damit unseren gesundheitlichen Freizeitspaß. Vor der kleinen Saunahütte war sogar zur Abkühlung ein kleines Wasserloch, in das wir einzeln nach den Saunagängen hineintauschen konnten.

Aber, der eigentliche Grund unseres Treffens war ein anderer. Er war in gewisser weise konspirativ. Mitte der 1970er Jahre waren schon viele Widersprüche zwischen unseren gesellschaftlichen Träumen und der sozialistischen Realität in der DDR deutlich. Soziale Konflikte traten auf und neue lagen in der Luft. Sachliche Probleme stapelten sich und mußten gelöst werden. Eine Verbesserung schien jedoch nicht in Sicht und wir relativ jungen Menschen waren in revolutionärer Ungeduld. Wir diskutierten schonungslos die Lage im gesamten Land und speziell an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in der wir alle drei arbeitet:

  • einer war Diplom-Physiker, Sekretär der FDJ-Organisation der Universität und zugleich Mitarbeiter in der Sektion Marxismus-Leninismus.
  • ein zweiter war Diplom-Sportwissenschaftler, Wissenschaftlicher Oberassistent der Sektion Psychologie
  • der dritte und jüngste war ich als Diplom-Psychologe und Wissenschaftlicher Assistent der Sektion Psychologie

Wir waren uns darin einig, daß wir genau diejenige junge Generation in der DDR waren,

  • die eine solide allgemeinbildende und gute Fachausbildung und sogar Hochschul-Ausbildung in diesem Land bekommen hatten,
  • die zu dieser sozialistischen DDR standen und
  • die das Ruder von denjenigen übernehmen mußten, die das sozialistische Land aufgebaut hatten, weil diese nun immer älter, auch müder, starrer und ideenloser wurden.

Uns war auch klar, daß es nicht einfach nur eine Herausforderung für solide fachliche Arbeit am jeweiligen Platz für uns bedeutete, sondern wir mußten auch gesellschaftliche Führungsverantwortung übernehmen, denn wir drei waren Genossen und Mitglieder der SED. Und so faßten wir einen Plan, bei dem wir auch persönlich zusammen wirken sowie uns wechselseitig stützen und stärken konnten:

  • Der eine wird Parteisekretär der Gesamtorganisation an der Universität Jena.
  • Der zweite wird Parteisekretär der Organisation an der Sektion Psychologie der Universität Jena.
  • Der dritte (das war ich) wird FDJ-Sekretär der Organisation an der Sektion Psychologie der Universität Jena.

Gesagt und auch getan, erreichten wir bald diese Ziele und wir leisteten jeweils unsere politische Arbeit.

Doch als wir dann wieder einmal in der Privatsauna zu unserem konspirativen Treffen zusammen kamen, fanden wir zu einen erstaunlichen Resumé: Jeder von uns gab sich zwar an seinem politischen Platz große Mühe und es gab auch kleine Verbesserungen im Rahmen von Spielräumen des Lebens, aber grundsätzlich hatte sich nichts voran getan. Wir waren immer noch und weiterhin unzufrieden mit der Lage im Lande und an der Universität. Unseren Idealen waren wir nicht wirklich näher gekommen. Wir hatten zwar als jüngerer Nachwuchs diese Plätze der älteren Vorderen übernommen, aber konnten allein dadurch keine Veränderung erreichen. Unser Genosse Parteisekretär der Uni geriet aufgrund der in seiner Funktion geforderten hohen Beanspruchung plus seines hohen persönlichen Verbesserungsanspruches zunehmend in gesundheitliche Schwierigkeiten.

Das aufgebaute politische System in der DDR funktionierte bis 1989 starr weiter wie bisher und wir Veränderungs-Gewillten konnten darin viel mehr nur dem Prozeß zusehen als ihn verändernd mitgestalten. In diesem System war ein „Webfehler“ entstanden (oder absichtlich eingefügt?), der Korrekturen und Anpassungen in der politischen Taktik sehr erschwerte oder verunmöglichte.

  • Die Partei-Führung

„Was ist das: Es hat 80 Zähne und 4 Beine? Ein Krokodil! – Und was ist das: Es hat 8 Zähne und 52 Beine? – Das SED-Politbüro!“  (DDR-Witz)
Die zentrale Parteiführung hatte sich von den Genossen in der Partei und vom Volk immer mehr entfernt und den Kontakt zur Situation und den Bedürfnissen der Menschen verloren. Selbst die Staatssicherheit und das Zentralinstitut für Jugendforschung wußten genau über die Situation und die Stimmung im Land Bescheid, gaben aber die Informationen nicht im Klartext weiter nach oben. Andererseits lebten und arbeiten die führenden Genossen in ihrem „Parteiapparat“  geschützt für sich und waren persönlich kaum betroffen vom DDR-Leben der anderen.

  • Die Partei-Funktionäre

Wir installierten uns als „Funktionäre“ und mußten in diesen Rollen natürlich „funktionieren“, wie das gesamte Wesen der SED-Partei und der FDJ-Organisation hierarchisch aus Berlin geführt wurde. Dabei gab es vor allem die „Parteidisziplin“ und einen innerorganisatorischen „demokratischen Zentralismus“, die uns im Handeln begrenzten. Spontane innerparteiliche Demokratie und Selbstorganisation (und auch Chaos, Aufgabe und Auflösung) gab es 1989 und 1990 erst dann, als es schon zu spät war.

  • Der Partei-Apparat (Organisation)

Besonders der Parteisekretär unter uns Dreien litt unter der starren Organisation des Apparates der Partei, der sehr wenig Spielraum für Eigenverantwortung in seinem Bereich der Universität und vor allem für notwendiges Denken und Besprechen über bessere politische Arbeit  zuließ. Ständig wurde seine Arbeit für die Partei vom Parteiapparat von einer Sitzung zur nächsten Konferenz, vom  individuellen Partei-Gespräch zur besonderen Ehrung, von Berichten und Stellungnahmen „organisiert“.

  • Die Partei-Linie

„Als wir gerade um die Ecke bogen, behaupteten wir stur unsere Linie.“ (Volker Braun) Die von der Parteiführung im ZK und Politbüro beschlossene Parteilinie erwies sich immer mehr als eine starr-dogmatische, die sich in vielen Aspekten vom gesellschaftlichen Leben entfernte und diesem widersprach oder sogar positiv manipuliert wurde (Kommunalwahlen in der DDR am 7. Mai 1989).  Eine bessere Orientierung und Führung der gesellschaftlichen Entwicklung mit voranbringenden Antworten auf die dringenden Fragen des sozialistischen Alltags stand auf der Tagesordnung. Dazu sollten vor allem und zuerst alle 2 Millionen Mitglieder der SED-Partei einbezogen werden, denn sie wollten (Eigenanspruch) und mußten (Fremd-Erwartung) die führende politische Kraft im Lande sein.  Als dies durch die politische Entwicklung 1989 drastisch klar wurde, war keine bessere Linie für die Zukunft des DDR-Sozialismus da und es war zu spät.

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