Warum ich Sozial-Psychologie studierte

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Auf dem Weg des Verstehens von etwas Wesentlichem für die Gestaltung des (gemeinsamen) Leben
Bei meiner Entscheidung als junger Mensch für das Studium der Psychologie interessierte mich überhaupt nicht die Therapie von Störungen des Erlebens und Verhaltens bei einzelnen Menschen. Die psychotherapeutische Arbeit nach dem Studium war aber das Ziel eigentlich aller meiner damaligen Kommilitonen an der Uni. Ich bildete wieder einmal eine Ausnahme.
Ich wollte durch das Studium der Psychologie überhaupt verstehen (und das vielleicht mehr und besser als andere, weil ich es als Beruf wählte), wie der Mensch in der Gemeinschaft funktioniert, und wie ich dieses „geschaffene“ und mir an der Uni vermittelte Wissen beruflich nutzen kann, um der Gemeinschaft in ihrem Sein und Werden zu dienen.
- Vor meinem Universitäts-Studiums glaubte ich auch an die Ehrwürdigkeit der klugen und weisen Professoren, die an einer Universität die Welt erforschten und „neues Wissen schufen“, das sie dann den unwissenden Studenten. Im Westen wurden die Akademiker auch an der Zahl von Veröffentlichungen gemessen („je mehr, desto weiser!“) Da wurden Namen von Wissenschaftlern voller Bewunderung und Hochachtung genannt.
- Während des Studiums staunte ich noch über die Größe und Erhabenheit der Professoren, deren spezifische Fachsprache ich nicht oder nur langsam verstand. Ich erinnere mich an das erste Studienjahr 1970 Vorlesungen in „Allgemeiner Psychologie“ bei Prof. Hand Hiebsch. Wir frischen Studenten lauschten ehrfurchtsvoll den Worten des Herren Professor, aber wir verstanden nichts, wußten auch nichts zu notieren (ein Lehrbuch gab es nicht), hatten keine Ahnung, wie wir die Prüfungen bestehen sollten. Doch mysteriöser Weise begannen wir irgendwann nach Monaten den Sinn der hieroglyphischen Vorlesungs-Texte zu begreifen, konnten Zusammenhänge erfassen und auf bestimmte Themen anwenden und sogar wiedergeben und eine Prüfung gut bestehen. Einige Studenten schafften diese (absichtliche?) es auch nicht, diese Hürde der „Schwierigkeit von Wissenschaft“ zu meistern, und gaben das Studium auf.
- Durch das Studium und meine persönlichen Erfahrung mit der Psychologie und den Psychologen bekam ich Achtung und Ehrfurcht vor den historisch außerordentlichen Leistungen der Deutschen auf dem Gebiet der Psychologie. So gilt Wilhelm Maximilian Wundt als deutscher Physiologe, Psychologe und Philosoph als Begründer der Psychologie als eigenständiger Wissenschaft und als Mitbegründer der Völkerpsychologie. Er gründete 1879 an der Universität Leipzig das erste Institut für experimentelle Psychologie mit einem systematischen Forschungsprogramm. In historischer und fachlicher Würdigung von Wilhelm Wundt wurde 1980 in Leipzig der „XXII. Weltkongress für Psychologie“ realisiert und von DDR-Psychologen organisiert. Viele deutsche Psychologen erwarben mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit Weltruhm und sind auch im Alltagsbewußtsein der Menschen bekannt: Alfred Adler, Hans Bender, Charlotte Bühler, Karl Duncker, Hermann Ebbinghaus, Hans Jürgen Eysenck, Gustav Theodor Fechner, Leon Festinger, Erich Fromm, Gustav Theodor Fechner, Siegmund Freud, Heinz Heckhausen, Carl Gustav Jung, Gustav Kafka, Wolfgang Köhler, Hans-Joachim Kornadt, Ernst Kretschmer, Oswald Külpe, Kurt Lewin, Philipp Lersch, Konrad Lorenz, Jacob Levy Moreno, Wolfgang Metzger, Fritz Perls, Jean Piaget, Carl Stumpf, Reinhard Tausch, Eberhard Ulich, Max Wertheimer, Wilhelm Wundt
Das ist eine Liste „großer“ DDR-Psychologen:
- Kurt Gottschaldt (Er gilt als Nestor der frühen DDR-Psychologie und als einer der wichtigsten Vertreter der zweiten Generation der Schule der Gestaltpsychologie bzw. der Gestalttheorie in Deutschland (zusammen mit Wolfgang Metzger und Edwin Rausch).
- Jürgen Guthke :Psychologische Diagnostik
- Hans Hiebsch (10.8.1922 – 6.3.1990) Persönlichkeitspsychologie, Sozialpsychologie
- Winfried Hacker : Arbeits- und Ingenieurpsychologie
- Johannes Helm (10. März 1927 – ): Klinische Psychologie
- Friedhart Klix (13. Oktober 1927 – 22. September 2004) Kognitionspsychologie, Künstliche Intelligenz, Ära Klix (1962-1990)
- Adolf Kossakowski (11.5.1928 – ): Pädagogische Psychologie, Vorsitzender der Gesellschaft für Psychologie der DDR
- Joachim Lompscher (07.11.1932 – 05.02.2005) Pädagogische Psychologie
- Hans-Dieter Rösler (1927 – 2018): Klinische Psychologie
- Uwe Schaarschmidt ( ) Psychologische Diagnostik, Gründer und Leiter des „Psychodiagnostischen Zentrums“ (PdZ), dem einzigen Testverlag der DDR
- Hans-Dieter Schmidt (1927 – 2007): Entwicklungspsychologie
- Hans Szewczyk (1923 – 1994): Medizinischen Psychologie, Forensische Psychologie
- Lothar Sprung (1934 – 2017) Psychologische Methodik
- Werner Straub (1902 – 1983) Arbeits- und Ingenieurpsychologie
- Manfred Vorwerg (03.04.1933 – 26.06.1989). Sozialpsychologie, Persönlichkeitspsychologie
Nach dem Studium durfte ich weiter studieren und wurde in den Kreis der „Wissenschaftler“ aufgenommen. Mehr uns mehr durchschaute ich das „Gesellschafts-Spiel“, denn diese Menschen kochten nur mit Wasser und oft mit sehr trüben. Ich begann diese Gilde statt Akademiker besser „Akademixer“ zu nennen.
Für die Gesellschaft
(1) Zunächst interessierte mich das Thema der „Gesellschaft“, die vernetzten und hierarchischen sozialen Verhältnisse von Menschen, „die als sozial Handelnde miteinander verknüpft leben und direkt oder indirekt sozial interagieren“. (Wikipedia)
Mein persönliches Anliegen und mein Motiv für das Studium war, in der DDR zur Gestaltung dieser Gesellschaft auf dem Weg zu einer sozialistischen Ordnung beizutragen.
- Deshalb regte mich ein Lehrer an der Berufsschule in Lauchhammer an, mal eine Vorlesung in Potsdam zum Thema „Soziologie“ zu besuchen. Das tat ich dann auch, aber zumindest sprach mich der Inhalt der Vorlesung und/oder der Dozent nicht wirklich an. Meine Recherchen ergaben zudem, daß ein Soziologie-Studium in der DDR nur alle zwei Jahre (an der Karl-Marx-Universität in Leipzig) und als Spezialisierung nach dem Studium des Marxismus-Leninismus bzw. des Historischen Materialismus durchgeführt wurde. Ich war zwar an Theorie interessiert, aber das war mir doch zu abstrakt und mir auch nicht, daß ich vor dem Studium zur Zeitüberbrückung meinen Wehrdienst bei der NVA hätte leisten sollen. Ich wollte geradlinig nach meinem Abitur zur Uni.
- Interessant ist jedoch, daß ich später eine Diplomarbeit an der FSU Jena zum Thema der Wissenschaftshistorischen Abgrenzung von Sozialpsychologie und Soziologie zur genaueren Bestimmung des Gegenstandes der „marxistisch-leninistischen Sozialpsychologie“ schrieb.Durch die erfolgreiche Verteidigung dieser Arbeit wurde ich immerhin „Diplom-Psychologe“.
Nicht in hohen Positionen
(2) Weiterhin spürte oder wußte ich aber auch genau, daß ich nicht in der oberen Führung der Gesellschaft wirken wollte
- als Parteiarbeiter in der Arbeiterpartei „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“,
- als Politiker im sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern,
- als Diplomat in den Botschaften des DDR-Staates im Ausland,
- als Offizier in den militärischen Kräfte der Diktatur der Arbeiterklasse (Armee, Grenzschutz, Polizei, innere oder äußere Staatssicherheit, Kampfgruppe)
Nein, ich wollte nicht ganz oben und vor großen Menschengruppen oder Gesellschaftsbereichen stehen. Das paßte nicht zu mir, entsprach nicht meinen Fähigkeiten. Eher wollte ich in kleineren Gruppen in bestimmten Bereichen der Gesellschaft wirken.
- So hätte meine politische Führungs-Entwicklung über die FDJ als Sekretär der Jugendorganisation der FSU Jena beginnen können. Ich entschied mich jedoch für die Leitung der neu gegründeten Gruppe Betriebspsychologie im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena.
- So hätte meine militärische Führungs-Entwicklung über die Kampfgruppe im Bataillon bei Carl Zeiss beginnen können. Ich bekam auch schon den Parteiauftrag für die Funktionsübernahme als Polit-Stellvertreter des Kommandeures des Kampfgruppen-Bataillions. Aber, ich ging weg von Carl Zeiss Jena und zog nach Brandenburg und übernahm dort eine neu gegründete Abteilung Verkaufstraining in der Betriebsakademie des MALF der DDR.
In der Wirtschaft
(3) Zudem verstand und glaubte ich damals, daß die Gesellschaft wesentlich durch die Verhältnisse der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, also durch die Wirtschaft geprägt ist.
Deshalb wollte ich nach dem Psychologie-Studium möglichst in der Wirtschaft tätig sein. Allerdings gab es dafür während des Psychologiestudiums keine Anregungen oder gar Beispiele aus der sozialistischen Wirtschaftspraxis. Am Nächsten war da noch die Arbeits- und Ingenieurpsychologie, die in Dresden gelehrt und geforscht wurde. Im Westen dienten Organisations- oder Betriebs-Psychologen in der Realwirtschaft den Unternehmern bei der Profitmaximierung. Aber in der sozialistischen DDR gab es keine Vorstellung von der psychologischen Arbeit in der materiellen Produktion. Das war also völliges Neuland in der DDR und deshalb interessierte es mich.
- Aufgrund des Rechtes auf Arbeit in der DDR mußte auch mein Ausbildungsbetrieb, das „Braunkohlenkombinat Lauchhammer“, meinen Studienplatz und die spätere Arbeitsstelle im Betrieb nach absolviertem Studium organisieren. Die allermeisten Mitstreiter in meiner Klasse der Ausbildung als Elektromonteur-Facharbeiter mit Abitur gingen in technische Studienrichtungen, die dann später auch in der Braunkohlenförderung und -verarbeitung gebraucht und eingesetzt wurden. Aber ich war wieder eine Ausnahme und wollte etwas Nicht-Technisches studieren. Auch das wurde unterstützt. Mein Ausbildungs-Betrieb delegierte mich zum Psychologie-Studium nach Jena, wußte damals jedoch noch nicht, was er mit mir später hätten anfangen sollen.
- Es gab in der Vorbereitung meiner Entscheidung für die Studienrichtung tatsächlich noch eine Inspirationen: Ein Ökonomie-Studium an der „Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst“. Aber mit diesem Studium der Volkswirtschaft oder Betriebswirtschaft wäre ich in einer leitenden Funktion eines Betriebes oder Kombinates „gelandet“.
- Interessant ist auch hierbei, daß ich dann später im VEB Kombinat Carl-Zeiss Jena als Hauptabteilungsleiter für Rationalisierung in der Kombinatsfachdirektion Technologie und Rationalisierung Mitglied der erweiterten Kombinatsleitung wurde und dabei verantwortlich für die Rationalisierung in 25 Betrieben war. Immerhin war das Kombinat Carl Zeiss Jena mit über 40.000 Mitarbeitern eines der größten Kombinate der DDR und von der Bedeutung das „Flaggschiff“ der DDR-Volkswirtschaft.
Sozial-Psychologie in der Sektion „Ökonomische Kybernetik“
Es ergab sich für mich das Studium des Verhaltens und Erlebens des Menschen und das Praktizieren der Erkenntnisse in der Wirtschaft der Gesellschaft.
So bewarb ich mich an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena mit einem sehr guten Abitur (Zensurendurchschnitt von 1,2) zum Psychologie-Studium. Ich wollte Sozial-Psychologie studieren und das ging in der DDR nur in Jena.
Aber, zunächst bekam ich sogar auf meine Bewerbung eine Absage! Es wurden nur 40 Studenten pro Studienjahr angenommen. Ich war schockiert, da ich doch ein sehr gutes Abitur-Zeugnis vorlegte. Aber, offenbar waren andere Studienbewerber noch besser! Schließlich bekam ich aber doch noch einen Studienplatz, weil unter den Bewerbern zu wenig Männer waren. Das war etwas Neues in der DDR: Ich wurde gefördert, weil ich ein Mann war! Ich war also ein „Quoten-Mann“! Meine Immatrikulation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena erfolgte 1970 an der Sektion „Ökonomische Kybernetik“, Fachrichtung Psychologie. Das war richtig und zu meiner Wirtschaftsorientierung der Psychologie passend.
Georg Klaus (1912-1974), der die Hauptrolle bei der Einführung der Kybernetik in der DDR spielte, etablierte sich akademisch nach dem Krieg an der FSU Jena und prägt auch den philosophischen Geist der Uni, sogar noch während meines Wirkens dort. „Höchstwahrscheinlich ist, daß die Kybernetik, so wie sie von Klaus eingeführt worden war, schließlich zu mächtig geworden war, insbesondere bezüglich der Legitimierung einiger geisteswissenschaftlicher Bereiche wie der in der DDR noch wenig etablierten Psychologie. So hatte die Kybernetik nach einer relativ wissenschaftlichen Auffassung ermöglicht, in der Psychologie (oder eher in der “ marxistischen Psychologie „) Begriffe wie die der Arbeitsproduktivität zu definieren.“ (Jérôme Segal: Die Einführung der Kybernetik in der DDR)
1960 wurde an der FSU Jena unter Prof. Friedhart Klix (1927- 2004) das Institut für Psychologie neu gegründet und seit 1961 konnte man den Diplomstudiengang Psychologie absolvieren. Klix prägte die Psychologie in Lehre und Forschung in enger Bindung an Kybernetik und Mathematik sowie auf einer strikt experimentellen Grundlage. Friedhard Klix war von Georg Klaus und der Kybernetik inspiriert. Er richtete Ende der 1960er Jahre im Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse (ZKI) in Berlin eine Grundlagenabteilung „Kybernetik“ ein und leitete diese, die später als Bereich „Künstliche Intelligenz“ weitergeführt wurde. Klix wird später weltweit einer der maßgeblichen Begründer der „Künstlichen Intelligenz“ (Sein Hauptwerk bereits 1971 „Information und Verhalten“).
Prof. Hans Hiebsch (1922-1990) baute das Psychologie-Institut zum Zentrum der Sozialpsychologie in der DDR aus. Hans Hiebsch etablierte zusammen mit Manfred Vorwerg eine Konzeption von (marxistisch-leninistischer) Sozialpsychologie, deren theoretisch-philosophische Grundlagen im dialektischen und historischen Materialismus bestand („Einführung in die marxistische Sozialpsychologie“), die aber in die internationalen Entwicklungen des Faches integriert war. 1971 wurde nach einer Hochschulreform die „Ökonomische Kybernetik “ liquidiert und die „Sektion Psychologie“ an der FSU gegründet.
Stichwort „Sozialpsychologie“ in der DDR
Teildisziplin der Psychologie zur Untersuchung der Gesetzmäßigkeiten, denen die über die psychische Tätigkeit als Widerspiegelungsfunktion vermittelte Regulation des sozialen Verhaltens unterliegt. In der sozialistischen Gesellschaft der DDR hat die S. ein dreifaches Ziel:
- durch Optimierung der Beziehungen zwischen Leitern und Kollektiven bzw. innerhalb der Kollektive die Arbeitsproduktivität zu erhöhen und die Persönlichkeitsentwicklung der Werktätigen zu verbessern,
- durch Optimierung des Informationsaustauschs bei heuristischen Prozessen die Effektivität der geistigen Kooperation in Forschungs-, Erziehungs- und Leitungskollektiven zu erhöhen,
- durch Optimierung der Auswahl und Ausbildung von Leitern, speziell ihrer Verhaltens- und Einstellungsentwicklung, die Effektivität von Leitungskadern zu erhöhen.
Als Kriterium für die Optimierung gelten die kooperativen Leistungsvorteile von Gruppen, die nach MARX in zwei Erscheinungsformen auftreten:
- als Erhöhung der individuellen Produktivität im Sinne der Leistungssteigerung im Wetteifern,
- als kollektive Produktivkraft oder „Massenkraft“, die als eine zusätzliche und durchaus neuartige Leistungs- und damit Lebenspotenz des Menschen in der Kooperation entsteht.
(Wörterbuch der Psychologie, VEB Bibliograpisches Institut Leipzig, 1976, S. 495)
Einsatzgebiete von Sozialpsychologen in der DDR
„Ihr Einsatz erfolgt
- in interdisziplinären Forschungskollektiven,
- in Stabsgruppen und Direktoraten von Kombinaten und Betrieben,
- in Rechtspflegeeinrichtungen,
- in bewaffneten Organen,
- im Gesundheitswesen und
- in Einrichtungen der Massenkommunikation.“
(Wörterbuch der Psychologie, VEB Bibliograpisches Institut Leipzig, 1976, S. 497)