Mit seiner Kampagne hat er Erfolg und die CDU stellt nach der Wahl mit Lothar de Maizère den Ministerpräsidenten. Unbemerkt arbeitet derweil im Auftrag des Finanzministeriums dieser Thilo Sarrazin an seinem Wirtschaftskonzept, das Ende April 1990 nun auch dem Minister der Finanzen der DDR-Regierung, Walter Romberg, vorgestellt wird. Der erinnert sich rückblickend in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung: „Nach der März-Wahl rechneten wir in der Regierung de Maizière noch mit etwa zwei Jahren bis zur deutschen Einheit. Das wäre ein Zeitrahmen gewesen, in dem man hätte vernünftig diskutieren und gestalten können.“ Und auf die Frage, warum man das dann nicht gemacht habe, antwortet er: „Zum Beispiel weil uns Herr Waigel unter Druck gesetzt hat. Alles oder nichts. Wir geben euch kein Geld, wenn ihr uns nicht die Souveränität über die Währung abtretet und unser Wirtschaftskonzept übernehmt.“
Dirk Laabs zeichnet auf den nun folgenden über 300 Seiten nach, wie ein Kampf um wirtschaftliche und politische Vormachtstellung in der DDR auf und hinter dem Rücken der Bevölkerung des Arbeitstaates ausgetragen wird. Noch immer versuchen zwar die Beteiligten des Thinks Tanks, der Runde Tisch und Volksvertreter der DDR, ihre Ansichten, ihre Visionen und ihre Bedenken in die Waagschale zu werfen und weisen darauf hin, dass man in einer Marktwirtschaft nur Bürger sein könne, wenn man auch Eigentum besitze und dass deswegen der Übergang eines Systems, in dem die Bürger nichts und gleichzeitig alles besäßen – denn es ist ja „Volkseigentum“ – unglaublich diffizil sei und mit sehr viel Bedacht geplant und vollzogen werden müsse. Doch es werden längst Tatsachen geschaffen, die all diese Anliegen unterwandern und beiseite fegen. Noch bevor ein Treuhandgesetz verabschiedet wird, und zwar natürlich nicht in der Form, wie es von DDR-Vertretern erarbeitet wurde, sondern eines, das man in Bonn erarbeitet hatte, begannen windige Geschäftsführer von DDR-Staatsunternehmen und damit Monopolen, ihre Geschäfte mit Westfirmen zu machen. Vorbei an der ab 1. Juli erst eingesetzten und ab Mitte Juli erst arbeitsfähigen Treuhand, vorbei an der Bevölkerung der DDR und zum großen Nutzen der West-Investoren und –Unternehmen. Die Deutsche Bank etwa konnte ein Spitzengeschäft mit der ehemaligen Staatsbank der DDR abschließen.
Alles arbeitet währenddessen auf die kommende Währungsunion hin: Sarrazin fasst diese Phase später für sich selbst zusammen: „Ich war kein Getriebener, ich war Treibender. Und zwar deshalb, weil ich mit dem mir angeborenen Maß an Zynismus und Kälte plus Sachverstand plus intensiver Sachbeschäftigung ganz klar und ohne Wunschdenken gesagt habe, wie es weitergehen würde.“ Die Gene eben – typisch. Sarrazin ist der „Macher“, bis zur Unterschrift sei ohne ihn kein Schritt gelaufen. Sein kühler Sachverstand und sein Zynismus sahen daher in den Folgen der ab 01. Juli 1990 eintretenden Währungsunion keine weiteren Probleme. Bis heute gilt der Tag, an dem die D-Mark in die DDR kam, als ein reiner Tag der Freude – wer sich nicht darüber freuen mag, ist ein undankbarer Jammerossi (auch wenn diese Beschreibung für einen Bundesbank-Chef ungewöhnlich wirken könnte – aber der hat eben einfach etwas nicht richtig verstanden). Sarrazin will schnell sein: „Als das dann erledigt war, die Treuhand existierte und unsere Überlegungen aufgegangen waren, habe ich gesagt: Jetzt wickeln wir das ganze Zeug möglichst schnell ab.“ Ab 00:00 Uhr am 1. Juli ist die D-Mark in der DDR angekommen und die Treuhand nimmt offiziell aber nicht tatsächlich ihre Arbeit auf. Jedenfalls gehören alls Fabriken und Firmen des Landes nun ihr. Aber sie braucht noch etwas, ehe sie arbeitsfähig ist, eingerichtet, besetzt.
Neun Tage nach der Währungsunion hat die DDR doppelt so viele Arbeitslose, als vorher. Was ist da nun passiert? Es hilft zu verstehen, dass man vor der Einführung der D-Mark für 1.000 Mark Ost etwa 200 DM bekommen hat. Das wirkte sich nun vielfach auf die Lage der Wirtschaft in der DDR aus: Zum einen brachte die Währungsunion die DDR-Firmen in die missliche Lage, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch die 1-zu 1-Umstellung nun das vier- bis fünffache an Lohn und Gehalt zahlen zu müssen, als vorher. Zum anderen wurden auch die Herstellungskosten für Produkte 1- zu 1 umgerechnet und stiegen um den gleichen Faktor. Man konnte aber den Verkaufswert nicht um diesen Faktor anheben – die ausländischen Abnehmer wollten ja gerade die Billigprodukte aus der DDR, die davor vor allem den Wettbewerbsvorteil hatte, ein Billiglohnland zu sein. Quelle kaufte hier Kühlschränke, die man als „Privileg“ vertrieb. IKEA ließ, wie jüngst bekannt wurde, hier Billy zusammenbasteln. All das fiel auf einen Schlag weg. Die Exporte brachen ein, das Personal wurde unbezahlbar. Und gleichzeitig verfünffachten sich die Schulden er Unternehmen. Denn es war so: In der DDR musste ein Unternehmen, das Investieren wollte, Schulden bei der Staatsbank machen. Die Umsätze aber waren an den Staat abzuführen, schließlich waren es ja „volkseigene Betriebe“. Eine zugegebener Maßen dämliche Konstruktion. Es gibt, wie es selbst die optimistischeren Analysten voraussagen, einen „wirtschaftlichen Urknall“ – er wird für die Wirtschaft der DDR verheerende Folgen haben.
Doch er will echten Wettbewerb in der DDR etablieren – er will aus den Staatsmonopolen des Sozialismus keine neuerlichen, diesmal halt kapitalistischen Monopole machen. Weil er gleichzeitig aber auch die undankbare Aufgabe hat, unrettbare Firmen und Betriebe abzuwickeln, ist seine Anstalt bald der Sündenbock für allen Unmut in der DDR, die wirtschaftlich bergab rast und gleichzeitig an der Treuhand vorbei ausgenommen wird. Die Leute demonstrieren gegen sie, laufen Sturm vor Büro und verstehen nicht, als dieser ihnen erklärt: „Nur die dümmsten Kälber wähl’n sich ihre Metzger selber.“ Sie wollen Geld sehen, sie wollen unbedingt weiter die Hoffnung haben können, den versprochenen Wohlstand zu erleben – und für diese Hoffnung steht der Westen, der bei ihnen nun in Person der Manager auftritt, die ihre Firmen kaufen wollen. Das Stromnetz geht an das westdeutsche Dreierkartell, Interhotel an Steigenberger, Interflug wäre beinahe an die Lufthansa gegangen, die gerne auch den Flughafen Schönefeld gehabt hätte, – die Verkehrsminister hatten sich hier eigens eingemischt, damit der Deal klappt – doch da schritt das Kartellamt ein. Interflug wurde schlicht aufgelöst. Der Metallurgiehandel geht an Thyssen, die IFA nach langen Verhandlungen, in denen der Preis stetig sinkt, an Mercedes Benz – die westdeutschen Unternehmen wissen, dass sie nur lange genug warten müssen, weil der Druck und die Erpressbarkeit der Ost-Firmen stetig steigen. Tengelmann macht aus dem Staatsmonopol der HO in Schwerin ein Tengelmann-Monopol und bestimmt in der ganzen Stadt die Preise. Daneben gibt es ein paar Skandale, weil nicht alle Treuhand-Mitarbeiter so gewissenhaft sind, wie
Rohwedder, der bei einem Attentat 1991 ermordet wird. Da ist der Fall der VEB Wärmeanlagenbau (WBB), da ist der Fall um den Aufbau-Verlag, das Kombinat Schiffbau, die Sache mit der Elbo-Baugruppe und schließlich die Geschichte mit der Leuna-Affäre. Daneben gibt den großen Skandal in Halle an der Saale, in dem 70 westdeutsche Unternehmer sich bei der Sparkasse in Halle an der Saale vermittels einer Firma namens KFP Kredite von überforderten Mitarbeitern holen. Man plündert, was man kann – die DDR ist wie es scheint durch die Währungsunion und mit der Treuhandanstalt ein ökonomisch rechtsfreier Raum geworden.
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