Die Treuhand und der Ausverkauf der DDR

Die Treuhand und der Ausverkauf der DDR
1. Juli 1990. Neues Geld für Ostdeutschland. Die D-Mark kommt.
Eine harte Währung für 16 Millionen DDR-Bürger. Wir mussten den Menschen in der DDR ein Signal geben. Und das war die Währung, mit der man überall auf der Welt etwas einkaufen konnte.
Der Freude über die D-Mark folgt schnell ernüchternd. Mit der D-Mark-Einführung, mit diesen falschen Umrechnungskosten waren wir endgültig pleite. Mit dem neuen Geld kommen auch die Aufkäufer aus dem Westen.
Viele werden das Geschäft ihres Lebens machen. Im Grunde genommen ist es eigentlich das größte Betrugskapitel, was es in der Wirtschaftsgeschichte Deutschlands gibt. Über Nacht ist die DDR-Wirtschaft dem internationalen Wettbewerb ausgeliefert.
Jetzt sollen die volkseigenen Betriebe marktfähig gemacht werden. Eine ganze sozialistische Volkswirtschaft umwandeln, das ist Aufgabe der Treuhandanstalt in Berlin. Investoren aus dem Westen wittern das ganz große Geschäft.
Über 8000 DDR-Betriebe sind im Angebot. Noch nie in der Geschichte wurden so viele Firmen gleichzeitig privatisiert. Treuhandchef Rohwedder, ein Spitzenmanager der westdeutschen Industrie, hat ein klares Konzept.
Das Wesentliche ist, das volkseigene, staatseigene, industrielle Vermögen der DDR, das heißt also die Kombinate, die VEBs, zu privatisieren. Wo eben möglich, zu sanieren, in Ordnung zu bringen, wo eben möglich und stillzulegen oder zu liquidieren, wo unabweisbar. Man hätte normalerweise eine Transformation gebraucht, von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft.
Aber was erfolgt ist, war eine Deindustrialisierung. Im Grunde genommen wurde das gesamte Industriekapital der DDR mit einem Schlag vernichtet. Scharfenstein im sächsischen Erzgebirge.
Jahrzehntelang eine der bedeutendsten Industrieregionen der DDR. Albrecht Mayer und Dieter Scharschmidt haben ihr ganzes Berufsleben im Kühlschrankwerk DKK verbracht. Der Raum stand voll, voller Maschinen und Anlagen.
Täglich sind, also in Spitzenzeiten, im Zweischichtsystem 5.600 Verdichter gebaut worden, hier in dieser Hölle. 5.500 Beschäftigte montierten an verschiedenen Standorten Motoren, Kühlschränke und Kühltruhen. Alle 25 Sekunden verließ ein Kühlschrank das Fließband.
Insgesamt 16 Millionen. Geblieben ist nur ein Museum. Hier haben wir das Modell des H145.
Der ist bis 1969 produziert worden. Eine Stickzahl von ca. 800.000 bis 900.000. Auch in den Westen ist er exportiert worden.
Zu Quelle, unter dem bekannten Namen Privileg, hat er dort auch in den Haushalten sein Zuhause gefunden. Noch über die Wände hinaus liefert DKK in den Westen. Doch die Treuhand will den Betrieb schließen.
Denn nach Einführung der D-Mark kann DKK nicht mehr mit Gewinn produzieren. Bis zur Währungsunion geht die Kalkulation auf. Jeder Kühlschrank kostet in der Herstellung 360 DDR-Mark.
Im Westen sind 360 DDR-Mark nach einem internen Umrechnungskurs gerade einmal 82 D-Mark wert. Der Kühlschrank wird an die Firma Quelle verkauft für 140 D-Mark. Jeder Kühlschrank erzielt also einen Gewinn von 58 D-Mark.
Nach der Währungsunion aber kostet die Herstellung eines Kühlschrankes mehr als das Vierfache. Statt 360 DDR-Mark, 360 D-Mark. Wenn der Kühlschrank jetzt in den Westen für 140 D-Mark verkauft wird, entsteht pro Kühlschrank kein Gewinn, sondern ein Verlust von 220 D-Mark.
Die Dramatik, die da eintrat, war die, dass mit dem Wechselkurs DDR-Mark quasi 1 zu 1, das verbunden war, wie eine 400-prozentige Aufwertung. Und das bedeutet im Endeffekt, dass die Produkte auf den Weltmärkten 400 Prozent teurer werden. Das ist nicht nachzuvollziehen.
Die D-Mark-Einführung hat schwerwiegende Folgen. Sogar wettbewerbsfähige Branchen wie der DDR-Schiffbau verlieren ihre Absatzmärkte. Die Druckmaschinen des DDR-Kombinats Planeta, bisher im Westen gut verkäuflich, werden zu teuren Ladenhütern.
Doch die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl macht nicht die D-Mark-Einführung, sondern allein den Zustand der DDR-Wirtschaft für die Absatzkrise verantwortlich. Die DDR, angeblich ein Pleite-Staat mit fast ausschließlich maroden Betrieben. Manche haben geglaubt, die DDR gehöre zu den führenden zehn Industrienationen der Welt.
Das war eine absolute Illusion. Die DDR war eigentlich, um es zivilrechtlich zu sagen, vor der Insolvenz. Er bestreitet das.
Edgar Most, früher Vizepräsident der DDR-Staatsbank, danach bei der Deutschen Bank. Die DDR hat Anfang 1990 wenigstens so weit funktioniert, dass alles, was der Osten selber brauchte, auch selber erwirtschaftet wurde. Das haben wir heute, 20 Jahre nach der Deutschen Einheit, nicht.
Die ostdeutschen Länder sind keine selbsttragende Gesellschaft. Sie können nur vom Geld West leben. Sie wollen damals das DDR-Vermögen retten.
Die Bürgerrechtler Gerd Gebhardt und Matthias Arzt. Am berühmten Runden Tisch im Schloss Schönhausen in Ostberlin kämpfen sie im Februar 1990 gegen den Ausverkauf der DDR, warnen vor einer zu schnellen Einführung der D-Mark. Ihre Idee, das Volksvermögen soll an die übergehen, die es geschaffen haben, die DDR-Bürger.
Am Runden Tisch geht es um die Zukunft der DDR. Wolfgang Ullmann von der Gruppe Demokratie Jetzt fordert eine Treuhandanstalt, aber ganz anders, als sie später kommen wird. Ich will mich mit aller mir zu Gebote stehenden Autorität dafür einsetzen, dass in unserem Lande eine Treuhandstelle errichtet wird, zur Sicherung der Rechte der DDR-Bevölkerung am Gesamtbesitz des Landes.
Und so beauftragt der Runde Tisch die Regierung mit der Gründung einer Treuhandanstalt, die 16 Millionen DDR-Bürgern ihren Anteil am Volksvermögen sichern soll. Das Muster der Anteilsurkunde hatte Gerd Gebhardt schon mal zu Hause ausgedruckt. Der Kernpunkt ist, die Produktionsmittel und den Grund und Boden zu übertragen als Privateigentum in Händen der realen Bürger, der DDR-Bürger.
Mit einer Annahme, jeder bekommt ein 16-Millionstel. Und die Treuhand sollte genau diesen Transformationsprozess organisieren. Kurz darauf erlässt DDR-Ministerpräsident Modrow von der PDS eine Verordnung über die Treuhandgründung zur Wahrung des Volkseigentums.
Doch im März 1990 gewinnt Lothar de Maizière’s Allianz für Deutschland die Volkskammerwahl. Alle alternativen Pläne der Bürgerrechtler haben keine Chance mehr. Jetzt soll die Marktwirtschaft nach westdeutschem Vorbild kommen.
In Modrows Treuhandverordnung hieß es noch, zur Wahrung des Volkseigentums wird die Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums gegründet. Daraus wird in de Maizière’s Treuhandgesetz, das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren. Die Mehrheit der Ostdeutschen stimmt gegen einen eigenen Weg der DDR für den Beitritt zur Bundesrepublik.
Im Ergebnis war dann die DMAG doch zu kräftiger als Wahlprogramm, weil nicht über die Folgen geredet worden ist. Und es ist ja bedauerlicherweise nicht dazu gekommen, dass die Alternative umgesetzt worden wäre. Das ist geblieben vom Kühlschrankwerk DKK Scharfenstein, einer DDR-Firma, die ihre Produkte sogar im Westen absetzen konnte.
Ab Mitte 1990, nach der DMAG-Einführung, hatte DKK nur noch Verluste gemacht. Die Kühltruhen und Kühlschränke ließen sich nicht einmal mehr zum Herstellungspreis verkaufen. Der Betrieb arbeitete laut Treuhand nicht wirtschaftlich.
Es gab also nur eins hier, hier müssen die Dichter ausgemacht werden. Und dann war praktisch das Problem DKK besiedelt. Im Sommer 1992 will die Treuhand DKK endgültig dicht machen.
Mehrere tausend Mitarbeiter stehen vor der Arbeitslosigkeit. Es musste jedem klar sein, dass wenn ich diese extrem starke DMAG, die von einem Tag auf den anderen aufs DDR-System übertrage, dann müsste es so etwas geben wie ein monetärer Urknall. Und mich ärgert nachträglich bis auf den heutigen Tag, dass die Dimension des Knalls überhaupt nicht in die Perspektive gerückt worden ist.
Noch aber geben die Scharfensteiner nicht auf. Entwickeln zusammen mit Greenpeace den ersten Öko-Kühlschrank der Welt. Ohne das berüchtigte Treibhausgas FCKW.
70.000 Vorbestellungen gehen ein. Bei DKK schöpft man Hoffnung. Doch die Treuhand will eine Präsentation des neuen Kühlschranks verhindern.
Und die übermächtige Konkurrenz aus dem Westen macht den Öko-Kühlschrank schlecht. Die westdeutschen Kühlschrankhersteller schicken ein Warnschreiben an 50.000 Händler. Sie behaupten, die Kühlmittel des DKK-Gerätes seien brennbar.
Und deshalb Gefahrenquellen im Gebrauch. Die Konkurrenz wollte eigentlich erreichen, dass dieses Gerät nicht verkauft wird, dass praktisch hier der Betrieb DKK Scharfenstein weiter im Abwärtsgang blieb und vielleicht auch dann geschlossen werden müsste. Das ist auch das Ende des Öko-Kühlschranks.
Stattdessen übernimmt die Konkurrenz aus dem Westen die angeblich so gefährlichen Kühlmittel. Die sind heute weltweit Standard. Die DKK-Ingenieure aber mussten aufgeben.
Wenn die Maschinen dann durch sind, müssen sie Abschied nehmen. Wie von einem lehrenden Wesen, so ungefähr ist das Gefühl. Aber so wie ich weiß, es entgültigt das alles.
Wie DKK geht es Hunderten von Firmen. Sie werden abgewickelt, trotz guter Produkte. Kritiker werfen der westdeutschen Industrie vor, sie habe mögliche Konkurrenten von vornherein verhindert.
Das ist maßgeblich der Einfluss der Wirtschaftsverbände in Westdeutschland gewesen. Das ist im Grunde genommen die Frage, was hat in der DDR, in der dann Ex-DDR Überlebenschance, was wird vernichtet, was wird weiterentwickelt. Ausschließlich in die Hände geraten ist der Konkurrenten, nämlich vor allem auch der Stahlbarone, der Wirtschaftsmanager aus Westdeutschland.
Die haben das Regiment übernommen, die haben darüber entschieden. Dieser Vorwurf unterstellt ja einen sehr, sehr großen Einfluss der Industrie. In Wahrheit war es aber so, dass mit Erteuern und auf Einladung des Bundeskanzlers der Bundesregierung sehr, sehr viele Manager und Familienunternehmer sich die Betriebe in den neuen Bundesländern angeschaut haben, um zu prüfen, ob man in diesen Betrieb investieren kann, ob man diesen Betrieb eingliedern kann, ob man in diesem Betrieb eine Produktionsteilung mit westdeutschen Produkten herstellen kann.
Herbst 1990. Die Politik hatte blühende Landschaften versprochen. Doch der westdeutschen Industrie geht es vor allem um die eigenen Interessen.
Und so geben sich die Geschäftsleute aus dem Westen in der Treuhandanstalt die Klinke in die Hand. Sie können unter über 8000 DDR-Großbetrieben mit 32.000 Standorten wählen. Der Verkauf sollte der Staatskasse Milliarden bringen.
Der erste Treuhand-Chef Rohwedder will als Sanierer mit Herz gesehen werden. Der ehemalige Hösch-Manager glaubt anfangs, dass er viele Betriebe und Arbeitsplätze retten kann. Rohwedder schätzt den Wert der DDR-Wirtschaft zunächst optimistisch ein.
Der ganze Salat ist 600 Milliarden D-Mark wert. Der Substanz wägt die DDR eine riesige Summe. Dabei ist nicht einmal der Immobilienbesitz der Firmen mitgerechnet.
Wenige Jahre später wird die Treuhandanstalt über 250 Milliarden D-Mark Schulden hinterlassen. Nach einem dramatischen wirtschaftlichen Absturz. Hans-Peter Gundermann, Manager aus der westdeutschen Erdölindustrie, soll die gesamte Energiewirtschaft der DDR als Generalbevollmächtigter privatisieren.
Eine der Firmen, die Gundermann privatisieren soll, ist der Wärmeanlagenbau Berlin, WBB. Der größte DDR-Betrieb für Heizkraftwerke und Fernwärmetrassen. WBB produziert außerdem Heizgeräte für den Haushalt.
Im Sommer 1990 besitzt Wärmeanlagenbau Berlin, WBB, Immobilien im Wert von 38 Millionen D-Mark. Ein Barvermögen von 153 Millionen D-Mark. Ein Teil davon Vorauszahlungen von Kunden.
Bei Schulden von 31 Millionen ergibt sich ein Substanzwert von rund 160 Millionen D-Mark. Außerdem erwartet WBB Einnahmen aus Altaufträgen in dreistelliger Millionenhöhe. Ein solides Unternehmen fit für den Markt? Die Treuhand sieht das völlig anders.
Die Aussichten der WBB 1991 waren nicht gut. Der Übergang zur Marktwirtschaft war sehr zweifelhaft. Sie hatten mit ihren damals noch 1200 Mitarbeitern einen riesen Personalblock am Hals.
Sie mussten diesen Personalblock in D-Mark West jetzt bezahlen. Und das war natürlich nur zu vertreten, wenn entsprechende Einnahmen generiert werden konnten. Das war sehr fraglich.
Die Treuhand schätzt das Vermögen nicht auf 160 Millionen, sondern viel geringer ein. So werden Firmen wie WBB zu Schnäppchen für Aufkäufer, auch für Kriminelle. Im Auftrag der Berliner Staatsanwaltschaft untersucht Kriminaldirektor Heinz Jankowiak damals kriminelle Machenschaften rund um die Treuhand.
Jankowiak und seine Sonderermittlungsstelle ZERF verfolgen hunderte von Fällen sogenannter Vereinigungskriminalität, auch den Fall WBB. Wenn ich eine Chance auf den Markt habe, dann ist es nicht nur der Ertragswert, sondern dann muss ich auch die Mittel, die vorhanden sind, berechnen. Und das hat die Staatsanwaltschaft in diesem Fall hier ganz genauso gesehen.
Denn die Wärmeanlagenbau hatte Aufträge, die Wärmeanlagenbau hätte bei ordentlicher Führung durchaus auch einen Ertrag bringen können. Unter diesen Gesichtspunkten halte ich das für unmoralisch, nur den Ertragswert zu betrachten. DDR-Seilschaften und westdeutsche Spekulanten verbünden sich.
Im Fall WBB kummeln die Geschäftsführer mit einem Kaufinteressenten aus dem Westen, rechnen den Wert der Firma systematisch klein. An all dem erfährt die Belegschaft erst später. Hier wurde geschwindelt bis zum Gehtnichtmehr.
Und wir hatten von der Geschäftsführung die Anweisung, diese Bewertung möglichst niedrig durchzuführen. Er profitiert davon, der westdeutsche Geschäftsmann Michael Rottmann. Für den Wärmeanlagenbau mit 1200 Beschäftigten und wertvollen Immobilien zahlt er gerade einmal zwei Millionen Mark.
Rottmann verspricht Großes. Mit modernster Technologie und hochspezialisierten Mitarbeitern Kraftwerke wie Brötchen herstellen. Rottmann kauft den Großbetrieb WBB über eine kleine Schweizer Firma, die Chematec AG.
Die ist in der Energiebranche völlig unbekannt, residiert zeitweise in einem unscheinbaren Wohnhaus. Wie überprüft man einen Kaufinteressenten wie die Chematec AG aus der Schweiz? Gute Frage. Im Endergebnis würde das bedeuten, dass man 8.000 Käufer, nachher waren es ja sogar 14.000 Käufer, weil die Unternehmen aufgespalten wurden, da hätte man zu jedem Käufer hinfahren müssen und den mit einem Team überprüfen müssen.
Aber diese Prüfung war faktisch unmöglich. Wir waren nicht ausgestattet dafür. Die Treuhand hat uns in einer Besprechung einmal gesagt, dass sie zu gründlichen Überprüfungen teilweise gar nicht in der Lage sind, weil der politische Druck schnell zu handeln und das abzuwickeln, was abzuwickeln war, dazu geführt hat, dass man bei Überprüfungen verhältnismäßig großzügig sein musste und da sind dann bestimmt auch Dinge durchgerutscht, die hätten gründlicher geprüft werden müssen.
Und so fällt der Treuhand auch nicht auf, dass der Käufer nicht einmal mit eigenem Geld bezahlt. Die WBB-Geschäftsführung zahlt an Chimatec für Beratungsleistungen 2 Millionen D-Mark. Von diesem Geld kauft Chimatec WBB.
Die neuen Eigentümer vergeben aus dem WBB-Vermögen Kredite in Millionenhöhe. 43 Millionen an eine Firma in der Schweiz, weitere 39 Millionen an eine Lichtensteiner Firma. Danach ist WBB zahlungsunfähig.
Rottmann wickelt das Unternehmen ab, entlässt die meisten Beschäftigten. Dann verkauft er die WBB-Immobilien. Für die Firmenzentrale in bester Lage in Berlin und für die Produktionsstätten erzählt Rottmann stolze 147 Millionen D-Mark.
Die Treuhand hatte die Gebäude als relativ wertlos eingestuft. Rottmann kassiert, setzt sich ins Ausland an. Es ging nur darum, das Unternehmen auszuhöhlen, die Immobilien zu verkaufen, das Geld rauszuziehen.
Und da der Personalabbau so rasant weiterlief, war das völlig klar erkennbar. Es gab kein unternehmerisches Interesse, dass ein Betrieb wie Wärmeanlagenbau vernünftig weitergeführt werden sollte. Der Mann, dem die Treuhand den Wärmeanlagenbau anvertraut hatte, kann sich 14 Jahre lang im Ausland verstecken und der Verhaftung entziehen.
Erst viele Jahre später wird Rottmann in England gefasst und im Dezember 2009 in Berlin zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Untreuen verurteilt. Die Firmengelder, fast 200 Millionen D-Mark, bleiben verschwunden. Nach der D-Mark-Einführung halbiert sich die Industrieproduktion Ostdeutschlands in nur wenigen Wochen.
Im März 1991 sind von ehemals sechs Millionen Werktätigen in Ostdeutschland bereits zweieinhalb Millionen arbeitslos. Die Treuhand gerät immer stärker in die Kritik. Auch Helmut Kohl, Kanzler der Einheit, bekommt den Zorn der enttäuschten Ostdeutschen am eigenen Leib zu spüren.
Am 1. April 1991 wird Treuhand-Präsident Rohwedder erschossen. Der Mörder entkommt unerkannt. Als Täter werden die RAF-Terroristen vermutet.
Das Attentat wurde bis heute nicht aufgeklärt. Neue Treuhand-Chefin wird die niedersächsische CDU-Politikerin Birgit Breul. Es ist eine völlig sinnlose Tat gewesen.
An der Arbeit, an den Ergebnissen wird sich nichts ändern. Aber wenn sie in seinem Sinne weiterarbeiten werden. Die neue Treuhand-Chefin beschleunigt sogar noch das Tempo bei der Privatisierung und Abwicklung der ostdeutschen Firmen.
Breul ist sich mit der westdeutschen Industrie einig, es geht nicht anders. Im Nachhinein war es alternativlos, die Treuhandanstalt mit der Aufgabe, so schnell wie möglich zu privatisieren. Das war das Credo von Rohwedder, das war das Credo von Birgit Breul.
Das ist dann auch durchgezogen worden, mehr oder weniger. Natürlich auch mit einigen Fehlentscheidungen oder einigen Gelegenheiten, wo sich mehr oder weniger Gauner der Sache angenommen haben. Aber im Großen und Ganzen, muss ich sagen, gibt es dazu keine Alternative.
Und es ist auch gut gelaufen. Ich fürchte, es gab keine Alternative. Die Schwierigkeit ist ja, ich habe es ja vorhin auch gesagt, dass der Kapitalismus im Kommunismus landet.
Darüber sind tausende von Büchern geschrieben, über den Umgekehrten feindlich eins. Und wir mussten dieses Stück aufführen ohne Partitur, ohne durchdachte Grundlage. Ohne durchdachte Grundlage und anfangs ohne wirksame Kontrolle privatisieren die Treuhand-Manager die DDR-Volkswirtschaft im Eiltempo.
Für schnelle Firmenabwicklungen bekommen sie sogar Sonderzahlungen. Ein fataler Anreiz zum Plattmachen. Konsequenzen für Fehler und Nachlässigkeiten müssen die Treuhand-Manager hingegen nicht fürchten.
Denn Finanzminister Weigl hat dafür gesorgt, dass die Treuhand-Manager bei Fehlverhalten nicht belangt werden können. Weigl hat auf Wunsch der Treuhand angeordnet, Vorstand und Verwaltungsrat von der Haftung für grobe Fahrlässigkeit freizustellen. Für leichte Fahrlässigkeit gibt es Haftungsfreistellung bis zur Ebene der Referenten.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Theo Weigl. Es war sinnvoll und richtig, diese Haftungsfreistellung zu machen. Wir hätten sonst qualifizierte Leute, qualifizierte Fachleute für dieses hochrisikoreiche Geschäft, für Entscheidungen in kurzer Zeit nicht bekommen.
Mit möglichen Folgen dieser Haftungsfreistellung musste sich Kriminaldirektor Uwe Schmidt beschäftigen. Er war damals Sonderermittler für Vereinigungskriminalität. Sein Spezialgebiet, die Übernahme ostdeutscher Kreditinstitute durch westdeutsche Banken.
Schmidt untersuchte dubiose Geldbewegungen bei der Ostberliner Handelsbank. Während er noch ermittelte, verkaufte die Treuhand die Handelsbank an die Westdeutsche Bank für Gemeinwirtschaft. Und die hatte wenig Interesse an Vergangenheitsbewältigung.
Hier gab es das grundsätzliche Problem, dass unter dem Einfluss der neuen Inhaber oder Anteilseigner auch bei der Herausgabe oder bei der Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden massiv gemauert wurde. Schmidt war der Verschiebung von Millionen durch DDR-Seilschaften auf der Spur. Ihm fiel auch auf, dass die Handelsbank für ungewöhnlich wenig Geld den Besitzer gewechselt hatte.
In einem internen Dossier erhebt Schmidts zentrale Ermittlungsgruppe schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung, die für den Bankverkauf verantwortlich war. Mit dem vorzeitigen Verkauf der Mehrheitsanteile an der Deutschen Handelsbank AG hat sich der Bund wesentlicher Möglichkeiten der Vermögensaufklärung benommen. Wir sind jedem Vorwurf nachgegangen.
Wir haben nicht nur selber, sondern wir haben auch Rechtsanwaltskanzleien beauftragt, um jedem Vorwurf nachzugehen, jede Haftungsmöglichkeit zu überprüfen. Und die Dinge gehen bis in die heutigen Tage hinein, um nachzuforschen, auf welchem Weg die SED oder andere Netzwerke versucht haben, Kapital außer Landes zu bringen oder es anders zu verwenden. Das heißt, wir sind nicht untätig gewesen.
Mit dem Bankendeal sollte sich ein Untersuchungsausschuss beschäftigen. Volker Neumann war Obmann der SPD im Ausschuss. Er wirft der damaligen Bundesregierung vor, die Aufklärung verhindert zu haben.
Als auch der Bundesrechnungshof den Bankendeal kritisierte, ignorierte die Regierung einfach die Vorwürfe. In Wirklichkeit wollte man wahrscheinlich nicht, dass wir zusätzliche Informationen herausbekommen, weil im Gegensatz zum Bundesrechnungshof wir ja Zeugen unter Wahrheitspflicht vernehmen können, wir jede Akte beiziehen können, auch Staatsanwaltschaft-Akten, diese Möglichkeit hat der Bundesrechnungshof nicht. So kamen die Geschäfte der westdeutschen Banken nie an die Öffentlichkeit.
1998 stellte der Untersuchungsausschuss seine Arbeit ein. Doch der Rechnungshofbericht enthüllt, wie westdeutsche Banken Milliarden bei der Wiedervereinigung kassierten, als sie sich ostdeutsche Geldinstitute einverleibten zum Schnäppchenpreis. Der Rechnungshofbericht enthält Details der Bankendeals, wird darum bis heute geheim gehalten.
Zum Beispiel die Ostberliner Stadtbank. Sie ging für lediglich 49 Millionen D-Mark an die Berliner Bank. Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass der Kaufpreis zu niedrig bemessen war.
Denn die Berliner Bank erwarb damit gleichzeitig Altkreditforderungen von 11,5 Milliarden D-Mark. Und diese Kredite waren wahres Geld, kritisiert der Rechnungshof. Schließlich hätte auch die Übernahme des beträchtlichen Altkreditvolumens in den Kaufpreis einfließen müssen.
Darüber hinaus waren die übernommenen Forderungen durch den Bund gesichert. Die westdeutschen Banken haben den größten Reibach gemacht, weil sie das gesamte Finanzwesen der DDR mit einem Schlag bekommen haben. Und damit sämtliche Verbindlichkeiten, also sämtliche Altschulden, die in einer gewissen Weise natürlich unglaublich aufgewertet worden sind durch die Währungsumstellung.
Zum Beispiel die Genossenschaftsbank der DDR. Für 106 Millionen D-Mark ging sie an die westdeutsche DG Bank. Wieder zu wenig, laut Rechnungshof.
Denn die DG Bank erwarb damit auch Altkredite im Wert von 15,5 Milliarden D-Mark. Eine sichere Einnahme. Denn der Bund garantierte die Rückzahlung dieser Altkredite.
Ein Milliardengeschenk. Das ganz Entscheidende ist, dass die Haftung für die Kredite eben nicht bei den Banken lag, sprich bei der Deutschen Bank, sondern die Haftung, soweit es beispielsweise Betriebe betrifft, die Haftung lag bei der Treuhandanstalt. Wenn man so will, war es eine privatisierte Übernahmestrategie, deren Risiken und Kosten sozialisiert worden sind über die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, über die Instanz der Treuhandanstalt.
Wir haben die Dinge damals bewertet und haben nichts verschenkt. Im Gegenteil, wir waren doch drauf aus, möglichst viel zu erlösen. Denn das lag ja in unserem Interesse.
Alles, was wir mehr bekommen haben, hat unsere Schulden und hat unsere Verpflichtungen etwas reduziert. Aber wir brauchten natürlich auch die Banken. Die Bundesregierung reagierte nicht auf die Kritik der obersten Rechnungsprüfung.
Und die Treuhandchefin? In ihrem Buch, ohne historisches Vorbild, feiert Birgit Breul eine Treuhandanstalt, die alles richtig gemacht hat. Sie fügt hinzu, den Ansprüchen eines deutschen Rechnungshofes konnte die Treuhand aber wohl nie gerecht werden. Naja, das ist das Verständnis von Freihand und nicht von Treuhand.
Und genauso hat Birgit Breul das auch betrieben. Sie hatte freie Hand für diese ganzen Entscheidungen. Es hat ihr niemand in die Suppe gespuckt, es hat ihr niemand über die Schulter geschaut.
Die Fach- und Rechtsaufsicht ist durch das Finanzministerium nicht wahrgenommen worden. 1994, nach vier Jahren, beendet die Treuhandanstalt ihre Arbeit.
Kapitalistisches Monster, Zombie der Wiedervereinigung, erinnerungskulturelle Bad Bank: Negative Zuschreibungen prägen in Medien und Literatur das Bild der Treuhandanstalt, die 1990 zur Privatisierung der »volkseigenen« DDR-Unternehmen gegründet wurde. Der Treuhand wird angelastet, dass damals zweieinhalb Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze verloren, dass Biografien brüchig und Lebensentwürfe zerstört wurden. Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall ist die Treuhand noch immer das Feindbild für viele Ostdeutsche, Sündenbock für ökonomische Fehlentwicklungen und neuerdings auch Erklärungsmuster für das Auftreten von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Aber die gefühlten Wahrheiten und Legenden überwuchern oft die historischen Tatsachen. Bis jetzt: Der langjährige Spiegel-Redakteur Norbert F. Pötzl durchdringt rational das Dickicht komplexer Vorgänge. Als einer der Ersten hat er Einsicht genommen in die internen Treuhand-Akten, die jetzt nach und nach ins Bundesarchiv übernommen werden, hat Gespräche mit Betroffenen, Akteuren, Politikern und Wissenschaftlern geführt. Sensibel für persönliche Schicksale rückt er aber auch, sachlich argumentierend, Vorurteile und falsche Behauptungen zurecht. Pötzls Buch ist das erste, das dem Anspruch gerecht wird, dieses vielschichtige Thema anhand der Faktenlage umfassend aufzuarbeiten.
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